Da klagt es durch die Nacht herüber,
Ein weicher, schmelzender Gesang;
Wohl Jeder spräch: Es ist ein trüber,
Ich sag': Es ist ein heitrer Klang!
Es zittert zwar in Moll-Akkorden,
So bang und klagend, wie es scheint,
Gleich Thränen, die zum Ton geworden
Das Auge kühlen, das sie weint;
Ich aber finde doch sie heiter,
Nur Wonnen rufen mir sie wach;
Ich lausch' und sinn' und sinne weiter, -
Und sinne nicht vergebens nach.
Es waren eben diese Klänge,
Die Sterne schienen hell, wie heut',
Und hatten auf die Laubengänge,
Wie jetzt, ihr Silber ausgestreut.
Da stand ich unter Blütenbäumen,
Und harrte liebebang auf sie;
Und plötzlich in den stillen Räumen
Erklang dieselbe Melodie.
Da kam sie, - flog mir heiß entgegen,
Bei diesen Tönen schwor sie mir; -
Es war ein Augenblick voll Segen,
Bei diesen Tönen schwor ich ihr!
Die düstern Moll-Akkorde klangen
Uns wie das hellste Lied der Lust,
Und faßten Wurzel und verschlangen
Sich mit dem Leben unsrer Brust.
Darum wenn durch die Nacht herüber
So klagend zittert der Gesang,
Und dünkt' er Jedem gleich ein trüber,
So dünkt' er uns ein heiter Klang.
Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843