Der Abend sinkt hernieder,
Die Sternlein ziehn herauf;
Und Nachtigallenlieder
Begleiten ihren Lauf.
Da tritt, die Welt im Busen,
Aus engem, dumpfen Haus,
In's Heiligthum der Musen
Der Troubadour hinaus.
Sein Harfenspiel zur Seite,
So zieht er froh die Bahn,
Und blickt in's blaue Weite,
Und hebt sein Ständchen an:
"Du minniglich Gegrüßte,
Wohl mag mich Klarheit freun ;
Die Sonne ging zu Rüste;
Magst du mein Mond nun seyn?" —
Und wie mit sanftem Tone
Er singet fort und fort;
Da schallet vom Balcone
Ein grußlich Minnewort;
Und singt nach gleicher Weise
Die letzten Zeiten drauf;
Doch unvermerkt und leise
Thut sich das Pförtchen auf.
Schon hüpft zum treuen Sänger
Die Maid in Lust hinab:
Da hält er sich nicht länger,
Und reißt die Saiten ab.
Sein Lied ist überboten,
Wo Brust an Brust erglüht:
Und Blicke sind die Noten,
Und Seufzer sind das Lied!
Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826