Schattengruß

Ich wall' im klaren Sonnenscheine:
Mein süßes Liebchen wallt vor mir;
Am Boden malt mit scharfen Raine
Der Schatten sich von mir und ihr.

Und vor zu ihren Bilde reichet
Mein Schatten, sich verlängernd, hin:
Sie stehet sich nicht um, und weichet; —
Wohl merkte sie, daß ich es bin!

Da regt sie still das weiche Händchen;
Ihr Schatten regt zugleich die Hand:
Und ihrer Finger Schattenrändchen,
Sie suchen einen Schattenrand.

Da streck' ich ihr die Hand entgegen,
Das Mädchen scheint mich zu verstehn:
Und unsre Schattenhände legen
Wir in einander — ungesehn.

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826

Collection: 
1826

More from Poet

Im Mai 1823

Mein Herz ist froh, mein Aug ist licht
Und Wen'ge sind mir gleich;
Drum ruf ich's laut, und rief ich's nicht:
Mein Aug verrieth' es euch.
Und daß ich sing' von meiner Lust,
Das hat der Lenz gethan:...

Ich wall' im klaren Sonnenscheine:
Mein süßes Liebchen wallt vor mir;
Am Boden malt mit scharfen Raine
Der Schatten sich von mir und ihr.

Und vor zu ihren Bilde reichet
Mein Schatten, sich verlängernd, hin:
Sie...

Der Abend sinkt hernieder,
Die Sternlein ziehn herauf;
Und Nachtigallenlieder
Begleiten ihren Lauf.
Da tritt, die Welt im Busen,
Aus engem, dumpfen Haus,
In's Heiligthum der Musen
Der Troubadour hinaus....

Wie sich der Aeuglein
Kindlicher Himmel,
Schlummerbelastet,
Lässig verschließt! —
Schließe sie einst so,
Lockt dich die Erde:
Drinnen ist Himmel,
Außen ist Lust!

Wie dir so schlafroth...

Wohl weilst du in der Ferne,
Doch nimmer fern für mich,
Kein Heil'ger denkt so gerne
An Gott, als ich an dich.

Vom Monde sag' ich nimmer:
Er walte sanft und mild;
Ich sage nur: sein Schimmer
Sei deiner...