Im Mai 1823
Mein Herz ist froh, mein Aug ist licht
Und Wen'ge sind mir gleich;
Drum ruf ich's laut, und rief ich's nicht:
Mein Aug verrieth' es euch.
Und daß ich sing' von meiner Lust,
Das hat der Lenz gethan:
Da wird sich seiner recht bewußt,
Was blühn und singen kann.
Noch Hab' ich frisch mein Elternpaar
In stillem Haus daheim:
Das mir behütet vor Gefahr
So manchen Blütenkeim.
Noch seh' ich heiter hin und her
All meine Lieben gehn:
Weiß keinen Stuhl im Kreise leer:
Brauch' Keinem nachzusehn!
Ich hab', was mancher nicht erstritt,
Manch Herz, das meiner denkt:
Nicht Freunde nach dem Modeschnitt,
Nein, — wie sie Gott nur schenkt.
Ich weiß, man heißt die Freundschaft jetzt
Ein Mährchen, schön, doch leer:
Ich habe viel auf sie gesetzt,
Und halte sie für mehr.
Die Liebe, — was man Liebe nennt,
Blieb noch aus meinem Spiel;
Doch glaub' ich, wer die Freundschaft kennt.,
Wiss' auch von Liebe viel.
Und seht! das bringt mir neuen Scherz,
Und neue Lust in's Haus;
Hat man für's Lieben nur ein Herz:
Das Mädchen bleibt nicht aus.
Und solch ein Herz — dem Herrgott Dank!
Das, mein' ich, wäre mein.
Wo es gesund seyn soll, — nicht krank,
Und nicht von Stein und Bein:
Das gern schlägt, wo es Freude gilt,
Sie gern empfängt und gibt:
Und Trotz der Mängel, die's erhielt,
Beständig lebt und liebt!
Und drum ist mir das Aug erhellt,
Drum sind mir Wen'ge gleich:
Drum fühl' ich mich so wohlbestellt,
Zumal im Frühlingsreich.
Wer nichts, was er geliebt, verlor,
Und noch was drüber kennt,
Der scheint ein Klotz mir, oder Thor,
Wenn er nicht reich sich nennt.
Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826