Mein Wahlspruch
Weder Ahnenruhm, noch Adel,
Schmücken meinen Namenszug:
Aber ohne Falsch und Tadel
Ist er mir auch so genug.
Wollt' ich aber einmal führen
Solch ein Schild, das mir gefällt,
Müßt ein dreifach "L" es zieren
Und es wäre wohl bestellt!
Erstes "L" du hießest "Leben,"
Leben, heil'ger Adelsbrief,
Aus der Wiege mitgegeben,
Als die erste Lust mir rief.
Ausgespannt die Sonnenarme,
Aufgethan dein Segensherz,
Daß ich ganz an dir erwarme,
Dich umrank' in Freud' und Schmerz!
Sieh der Erde weite Länder,
Sieh der Himmel endlos Zelt,
Und so weit das Meer die Bänder
Seiner Flut hinausgeschwellt:
Unersättlich, unabwendig,
Freun sich alle Wesen dein:
Was nur ist, es ist lebendig,
Laß auch mich lebendig seyn!
Zweites "L" — du wärst die Liebe,
Liebe, dieses Lebens Licht!
Welch ein armer Adel bliebe,
Führt' ich dich im Wappen nicht!
Die das Kind du machst zum Manne,
Mach' einst nur den Mann zum Kind:
Dir erscheint als Halm die Tanne,
Und der Sturm als Säuselwind!
Du nur heilest durch Verwunden,
Und verwundest, wenn du heilst:
Augenblicke sind die Stunden,
Deren Sand du mit uns theilst.
Kehr', um nimmer zu entschweben,
Gastlich ein in dieser Brust;
Ohne Lust ach! wo das Leben,
Ohne Liebe, wo die Lust?
Drittes "L" — was sollst du sagen?
Ja du deutest mir das Lied!
Diesen Freund in heit'ren Tagen,
Diesen Freund, wenn Alles flieht.
Wie ein Tritt durch Klostergänge,
Dumpft ein klanglos Leben hin:
Erst im Zauberkreis der Klänge.
Fühlt und läutert sich der Sinn!
Sprache gibt das Lied der Seele,
Schöne Schale schönem Kern:
Ob dir nichts, ob Alles fehle,
Lied ist stets ein treuer Stern.
Drum gedichtet, drum geklungen,
Weil es noch der Himmel gibt:
Vielgelebt heißt viel gesungen,
Viel gesungen - vielgeliebt!
Leben, Lied und Liebe wären
Meines Wappens dreifach "L,"
Sollt' ich je ein Schild begehren,
Wahr und adlig, blank und hell!
Diesen Wahlspruch, wenn ich sterbe,
Grabt noch auf dem Sarg mir ein;
Diesen Wahlspruch soll das Erbe
Meiner liebsten Freunde seyn.
Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826