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Sonett LXV. William Shakespeare 1840 German

Wenn Erz, Stein, Erde, unbegrenzte Fluth
Nicht trotzen kann der trüben Sterblichkeit,
Kann Schönheit bergen sich vor solcher Wuth,
Die keine Blum’ an Kräften überbeut?
5 Was soll des Sommers süßen Hauch beschützen,
Wenn heranbraus’t die rauhe Sturmesnacht,...

Sonett LXVI William Shakespeare 1840 German

Nach Grabesruh’ muß müde ich mich sehnen,
Wenn das Verdienst als Bettler sich mir zeigt,
Wenn leeres Nichts sich putzend kann verschönen,
Und reine Treu’ unsel’gem Meineid weicht;
5 Wenn goldne Ehr’ der Schmach wird zugewendet,
Und Jungfrau’ntugend frechen...

Sonett LXVII. William Shakespeare 1840 German

Warum wohl soll er schuldbeflecket leben,
Dem Frevel leihen seines Daseins Zier?
Soll Sünde sich der Tugend gleich erheben,
Sich brüsten, daß Genoss’ er heißet ihr?
5 Darf falsch Gebild nachahmen seine Wangen,
Und stehlen todten Schein von seines Lebens Blüth...

Sonett LXVIII. William Shakespeare 1840 German

Ein Bild zeigt sein Gesicht von jenen Tagen,
Als Schönheit lebt’ und starb der Blume gleich,
Eh’ falscher Bastardschein es durfte wagen,
Des Lebens Stirne zu verzieren reich;
5 Bevor der Todte her noch mußte geben
Sein goldnes Haar, verfallen schon dem Staub,...

Sonett LXX. William Shakespeare 1840 German

Sei nicht erzürnt darob, daß sie dich höhnen,
Stets war’s das Edle, was der Neid umschleicht;
Verdacht erst zeigt den reinen Glanz des Schönen,
Der Krähe gleich, die in den Aether steigt.
5 Sei gut, so hebt der Leumund nur die Würde,
Vor der die Huldigung der...

Sonett LXXI. William Shakespeare 1840 German

Wenn ich einst todt bin, traure nicht, sei froh,
Sobald der Glocke trüber Klang geschwiegen,
Der es der Welt verkündet, daß ich floh
Die schlechte Welt, beim schlechtsten Wurm zu liegen!
5 Und siehst du jemals diese Zeilen hier,
Gedenke nicht der Hand, die sie...

Sonett LXXII. William Shakespeare 1840 German

Damit die Welt dich nicht mit Fragen quäle,
Wie ich’s um dich verdiente, noch im Grab’
Geliebt von dir zu werden, theure Seele! –
Vergiß mich, da Verdienst ich keines hab’!
5 Nicht sollst mit frommer Lüge du bethören,
Um mehr für mich zu thun, als mir gebührt,...

Sonett LXXIII. William Shakespeare 1840 German

Des Jahres Spätherbst magst in mir du seh’n,
Wenn falbes Laub kaum spärlich nur noch zittert
An Zweigen, die erstarrt von Frostes Weh’n,
Der Waldessänger Dom nun kahl verwittert.
5 Dem Zwielicht solches Tages gleich ich bin,
Der westlich dämmert, wenn die Sonne...

Sonett LXXIV. William Shakespeare 1840 German

Beruh’ge dich, wenn schnödes Machtgeheiß
Ohn’ Gnade mich von hinnen wird vertreiben;
Nimm diese Zeil’ als meines Lebens Preis,
Erinn’rung wird in ihr stets nah dir bleiben.
5 Schweift über dies dein Blick, dann wird sich zeigen
Der Theil von mir, der ganz dir...

Sonett LXXIX. William Shakespeare 1840 German

So lang allein ich deine Hülf’ erfleht,
Hast Anmuth meinem Verse du verliehen;
Doch jetzt ist ganz mein süßer Sang verweht,
Die kranke Muse muß vor Andern fliehen.
5 Gesteh’ ich’s: es verdient dein holdes Wesen,
Daß würdigerer Meister hold es malt;
Doch...

Sonett LXXV. William Shakespeare 1840 German

Wie Lebensnahrung bist du meinem Herzen,
Wie duft’ger Regen, der das Land durchdringt;
Für deinen Frieden kämpf’ ich gern mit Schmerzen,
Dem Geize gleich, der mit dem Reichthum ringt:
5 Jetzt stolz sein Gut genießend, zitternd dann,
Daß schnöde Zeit den Schatz...

Sonett LXXVI. William Shakespeare 1840 German

Warum mein Vers der Neuheit Glanz entbehrt,
Stets arm sich zeigt an flücht’gen Wechselbildern?
Warum mein Blick der Zeit nicht zugekehrt,
Daß Fremdes ich in neuer Art könnt’ schildern?
5 Warum wohl schreib’ ich stets dasselbe Eine,
Bekleide mein Gedicht mit alt...

Sonett LXXVII. William Shakespeare 1840 German

Es zeigt dein Spiegel deiner Reize Schwinden,
Die Uhr der köstlichsten Minuten Flucht;
Die weißen Blätter mögen drum verkünden
In dieser Lehre deines Geistes Frucht:
5 Die Runzeln, die dein Spiegel wiederstrahlet,
Sie mahnen dich an offner Gräber Ruh’,
...

Sonett LXXVIII. William Shakespeare 1840 German

So oft als meine Muse rief ich dich,
Und Hülfe hast du meinem Vers gespendet;
Doch andre Dichter machten es wie ich,
Ihr Reim ward unter deinem Schutz verschwendet.
5 Dein Auge, das den Stummen lehrte singen
Und plumper Einfalt gab erhabnen Flug,
Ein neu...

Sonett LXXX. William Shakespeare 1840 German

Wie muß ich zagen, will von dir ich singen,
Da einen bessern Geist du hast beseelt,
Der deinem Preis geweiht der Kräfte Ringen,
Stumm macht mich, wenn er deinen Ruhm erzählt.
5 Doch wird dein Werth, wie Ocean so weit,
Das ärmste Segel wie das stolzste tragen;...

Sonett LXXXI. William Shakespeare 1840 German

Mag lebend ich die Grabschrift einst dir dichten,
Magst dau’rn du, wenn ich längst des Grabes Raub;
Dein Angedenken kann kein Tod vernichten,
Bin auch vergessen ich mit meinem Staub’.
5 Unsterblich wird dein Nam’ hinieden leben,
Wenn todt ich einst, vergessen...

Sonett LXXXII. William Shakespeare 1840 German

Mit dir ist meine Muse nicht vermählt;
Daher magst ungerührt du überseh’n
Die Widmungsworte, die der Dichter wählt,
Daß holder Inhalt auch sein Buch verschön’.
5 Du fandst, an Reizen wie an Weisheit gleich,
Daß über meinen Preis dein Werth erhaben,
Darum...

Sonett LXXXIII. William Shakespeare 1840 German

Der Farbe Mangel merkt’ ich nie an dir,
Nicht wollt’ ich drum als Farbenbild dich malen;
Du übertriffst, so offenbart sich’s mir,
Den winz’gen Zoll, den Dichtung dir kann zahlen.
5 Daher war lässig ich in deinem Ruhm,
Daß selbst du durch dein Wesen mögst...

Sonett LXXXIV. William Shakespeare 1840 German

Wer preis’t am höchsten dich? Was übersteigt
Wohl diesen Ruhm: Du seist du selbst allein?
Der Schatz, der sich in deinem Wesen zeigt,
Ist Maßstab dem, der ähnlich will dir sein.
5 Man muß nur bettelarm den Dichter schmälen,
Der seine Liebe nicht zu schmücken...

Sonett LXXXIX. William Shakespeare 1840 German

Erzähl’, daß mein Verschulden uns entzweit,
Und deines Urtels Kraft will ich bezeugen,
Schilt lahm mich, hinkend bin ich gern bereit,
Ergeben will ich deinem Spruch mich beugen.
5 Du kannst nicht, Freund! nur halb so arg mich schmäh’n,
Als ich, den...