Frühling

Der Frühling war gekommen; leise Lüfte
Vom Mittaglande streiften warm herein,
Und schlugen weckend an die kleinen Grüfte
Der Blumen in dem frühen Hain.

Schon ward es laut an Hügeln und in Thalen;
Da stickte sich ihr Festgewand die Au;
Und durstig tranken schon die Morgenstrahlen
Aus goldnen Krokosbechern Thau.

Es füllte sich das Laubdach grüner Hallen,
Durch die so hell herein der blaue Himmel sah;
Und einzeln riefen frohe Nachtigallen:
"Steh auf, Gesang! der Lenz, dein Freund, ist da!"

Nun kam zur Nachtzeit, aus des Nordens Wüsten,
Ein Sturm, und riß den Hain aus seiner Ruh:
Da schlossen Blumen, die sich froh begrüßten,
Die holden Auge wieder zu.

Der Morgen wird den Wonnempfang vermissen;
Die Nacht beging den finstern Tempelraub;
Ein Nordsturm hat es kalt hinweggerissen,
Das kaum entsproßte, frische Laub.

Wohin mit deinen Nachtigallenstunden?
Wohin, o Lenz, mit deinem Rosenlicht? -
Ein Frühlingstag ist - eh' er kam, verschwunden;
Jedoch mit ihm verschwand der Frühling nicht.

O Bild des Lebens! mich umfangen
Die stillen Schatten der Vergangenheit!
Viel theure Menschen sind von mir gegangen;
Entlaubt und arm ist meine Zeit!

Ach! Scheidestunden sind das herbe Wetter,
Das nächtlich, wie ein tief verhüllter Geist,
Durch unsre Gärten fährt, und frische Blätter
Vom grünen Baum des Lebens reißt.

So kann und darf nichts Heiliges verwehen!
Versinken nichts, was Himmelsblüten treibt!
Ob auch hinweg geliebte Menschen gehen:
Die Liebe selbst, die hohe, bleibt! (Band 2 S. 23-24)

Collection: 
1841

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