Raisa

Ein Wetter raset durch das Dunkel
Der Nacht, die donnernd wiederhallt;
Vom Himmel blickt kein Sterngefunkel,
Und Regensturm zerreißt den Wald.

Ein jedes Leben ruht geborgen,
Und bang' verkriecht sich jeder Wurm;
Nur Raisa trägt ein Herz voll Sorgen
Hinaus in den empörten Sturm.

Sie hört nicht, wie vom Donnerschlage
Die weite Felsenküste dröhnt;
Sie hört nur sich, nur ihre Klage,
Die aus der tiefen Brust ertönt.

Und dunkler, als der Himmelsbogen,
Ist von dem nächtlich finstern Schmerz
Ihr schönes Jugendaug' umzogen,
Und laut und ängstlich schlägt ihr Herz.

Sie reißet sich durch den verworrnen,
Durchnäßten Busch, und ihre Brust
Und ihren Hals zerfleischen Dornen;
Doch fühlt sie nicht den Blutverlust.

Am Meere ragt ein Felsenrücken
Vor allen Höhen schwarz hervor,
Da windet, zwischen Felsenstücken,
Die arme Raisa sich empor.

Sie blickt, vom lauten Sturm umfangen,
Hinunter in die grause Wuth
Beschäumter Wellen, und die Schlangen
Der Blitze zischen auf der Fluth.

Die Fischer - trotz dem wilden Grimme
Des Sturms, der mit den Wellen rang -
Vernehmen Raisa's süße Stimme,
Die von dem Felsen her erklang.

"Ach, weh mir! weh! ich bin verloren!
Sieh her, wie mich der Schmerz zerfleischt!
Ach, hättest du mir nie geschworen!
Wie grausam hast du mich getäuscht!"

"Du, den mein Blick so freundlich grüßte,
Wie Blumenglanz und Sonnenschein,
Du lässest jetzt, in dieser Wüste
Der Dunkelheit, mich so allein!"

"Ach, könntest du das Weh ermessen,
Das mich erdrückt mit seiner Schmach!
Komm, komm zurück! ich will vergessen,
Was mir das Herz im Busen brach!"

"Eh' du erschienst, war Blumenlesen
Mein Thun, und Unheil kannt' ich nie.
Bei Gott! ich war ein glücklich Wesen!
Die Eltern liebten mich, ich sie."

"Du kamst! ach, da vergaß ich Beide,
Vergaß mein Jugendspiel, und hing
An dir, du meine Augenweide,
Du, der mein ganzes Herz umfing!"

"Es war, als ob das Wort der Liebe,
Dieß süße: 'Raisa, du bist mein!'
Die Seel' aus meiner Seele triebe,
Und in die deinige hinein."

"Ein Engel sprach aus deinen Mienen,
Ein Bild von Gottes Herrlichkeit
War mir in deinem Blick erschienen!
Ich lebt' in einer neuen Zeit!"

"O, hätte doch, im süßen Hoffen,
Bestrahlt von deiner Augen Licht,
Der Streich des Todes mich getroffen:
So wüßt' ich untreu dich doch nicht!"

"Für Raisa ist nun kein Erbarmen,
Kein Hoffnungsstrahl! Dir ruht fortan
Ein andres Mädchen in den Armen,
Das buhlend dich mir abgewann!"

"Ich lag und träumt' in süßem Frieden,
Dich hielt im Arm die Träumerin!
Ich faßte Luft; und mit Chroniden
Entfloh die fremde Buhlerin!"

"Laut rief ich aus! 'O hätt' ich Flügel,
Um meinem Liebling nachzuziehn!'
Ich eilt' hinaus, bestieg die Hügel -
Und, welch ein Schmerz: ich sah dich fliehn!"

"Dir, süßer Freund, gab ich mein Leben,
Als du mit Liebe zu mir kamst!
Komm, mein Chronid, zurückzugeben,
Was du mit dir von dannen nahmst!"

Sie sprach's und stürzt bewußtlos nieder;
Gehemmt ist ihres Blutes Lauf;
Kalt bebt der Tod durch ihre Glieder;
Doch endlich schreit sie wieder auf.

"Schau, wie sich meine Sinn' empören!
Mein Odem röchelt dumpf und hohl!
Du hörst nicht, willst mich nicht mehr hören:
So sei es dann - leb' wohl! - leb' wohl!"

"Schwarz ist die Welt, wie eine Höhle,
Das Leben eine lange Pein;
Nach Ruhe dürstet meine Seele:
Ihr wilden Fluthen sargt mich ein!" -

Sie stürzet in die Fluth ihr Leben!
Chronid, dir galt ihr letztes Ach!
Ein Donner, daß die Felsen beben,
Ruft ihren Tod dem Flüchtling nach.

Jetzt richtete die innre Strafe
Sich in Chronidens Brust empor;
Sie schreckt ihn nächtlich aus dem Schlafe,
Und führet Raisa's Bild ihm vor.

Ihn faßt die Wuth der finstern Reue,
Zerstört sein ganzes Lebensglück.
Er weint; doch seine Vielgetreue
Weint er vom Tode nicht zurück.

Er fluchet seiner neuen Liebe,
Reißt los sich von Ludmillens Hand,
Als ob ein böser Geist ihn triebe.
Er flieht, und seine Spur verschwand. (Band 2 S. 25-30)

Collection: 
1841

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