Sänger und Blume

Ein Sänger zog im stillen Hain
Süß träumend Bild auf Bild
Ein Sänger wandert gern allein,
Wann sanft und voll
Im Busen ihm
Die Liedeswelle quillt.

So zog er fort in Einsamkeit
Hin wo nicht Wandrer gehn,
Dort still in zartem Lilienkleid
Sieht fromm und schön
Auf ödem Rain
Er eine Blume stehn.

Und innig das bescheid'ne Bild
Sein weiches Herz bewegt;
Hin sinkt er vor die Blume mild
Und spricht: "Wie doch
So wunderbar
Die Oede Blüthen hegt!

Du einsam Kind, für Gott erblüht,
Hier wo kein Wandrer naht,
Wo dir nur still der Himmel glüht,
Kein tückisch Herz
Den Schmuck dir raubt,
Wo dich kein Fuß zertrat.

Du einsam Kind, für Gott erblüht
In stillem, tiefem Werth,
Dein Auge klar zum Himmel sieht
Voll Thränenthau,
Und Huldigung
Von Menschen nicht begehrt."

Und o, der Blume, zart im Moos,
Tönt's sanft vom Purpurmund:
"Ich blüh' in der Vollendung Schoß,
In Himmelslust,
In Himmelsruh,
In meines Schöpfers Bund."

Da steigt des Sängers frommer Blick
Empor, zum Himmel ein,
Und ihn umschwebt ein holdes Glück,
Ihm wird das Herz
Süß ahnungsvoll,
Sein Sinn so blumenrein.

aus: Die deutschen Dichter der Gegenwart
Supplementband zum
Poetischen Hausschatze des deutschen Volkes
Von O. L. B. Wolff
Leipzig 1847

Collection: 
1847

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