An die Stille

Traute Stille, dich begrüß' ich wieder,
Dich, du weicher Schoß voll Seligkeit;
Heimath meiner Träume, meiner Lieder,
Dir sei dieses frische Lied geweiht.
Draußen blüht solch süße Freude nimmer,
In dem bunten Drang der Außenwelt;
Nur die Stille ist vom goldnen Schimmer
Süßern, höhern Lebens traut erhellt.

Dir, o Stille! dir bin ich ergeben,
Kehre froh vom lauten Markt zurück,
Heiter wohnt bei dir mein schaffend Leben,
Dir entkeimt mein trautverborg'nes Glück.
O, so fröhlich in dem Land der Träume
Schwärm' ich auf und ab in sel'ger Lust,
Zieh' verkläret durch die Himmels-Räume,
Lausch' dem Klang und Sang in meiner Brust.

Süße Stille, o du Welt voll Frieden,
O du Freiheit, du Glückseligkeit!
Was vom Schicksal Trübes mir beschieden,
Hier vergaß ich allen Gram und Leid.
Wann ich kam, die Brust voll Schmerz und Wunden,
Wann ich kam gekränkt, voll bittern Harm,
Durft' ich an dem frischen Quell gesunden
Göttlich hoher Liebe, süß und warm.

In der Stille hab' ich dann vergeben
Allen, die mir Kränkung angethan;
Denn es darf dem lichten Götterleben
Nur ein rein und liebend Herz sich nahn.
Niedres ist verdeckt mit dichtem Schleier,
Hoch im Licht die Friedensbanner wehn;
Ueberwindung trägt die Seele freier
Nach dem Wunderland der sel'gen Höhn.

Stille, Stille! Wolle nie verschließen
Meiner Seele deine Bilderwelt!
Laß die Geistesblüthe mir entsprießen,
Daß sie Leben segensvoll behält.
Stets will ich dir nahn mit frommem Triebe,
Bis verronnen mir der letzte Sand;
Wiege dann mein Leben, meine Liebe
Sanft hinüber nach dem Heimathland.

aus: Die deutschen Dichter der Gegenwart
Supplementband zum
Poetischen Hausschatze des deutschen Volkes
Von O. L. B. Wolff
Leipzig 1847

Collection: 
1847

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