Die Jungfrau am Rhein

Es winkt vom Felsenriffe
Im thaugewobnen Kleide,
Nur Thränen als Geschmeide,
Ein weißer Arm herbei;
Und gleich dem Ton der Harfe
Ergießt des Herzens Wunde
Sich aus dem schönen Munde
Der schönen Lorelei.

Die Wasserrosen heben
Ihr Bildniß einzusaugen,
Die blendend klaren Augen
Zum holden Weib empor:
Den Himmel faßt ein Sehnen,
Es ruft aus blauer Ferne
Der Liebe blanke Sterne
Voll Ungeduld hervor.

Die Rebenhügel lauschen,
Des holden Klanges trunken,
Es ziehn wie Mondesfunken
Glühwürmchen aus und ein;
Der Nachtwind athmet milder,
Und zu des Stromes Rollen
Erklingts in seelenvollen
Accorden über'n Rhein:

"Was wollen all die Sterne
Mit ihrem bleichen Glanze,
Was will in vollem Glanze,
Der Blumen todte Pracht?
Ach! wie ein Menschenauge
Könnt' ihr doch nimmer leuchten,
Und das ist längst im feuchten
Gewog zur Ruh gebracht.

Was soll der Fluten Rauschen,
Der Winde leises Flüstern,
Der Ton, nach dem ich lüstern,
Ist lange schon verhaucht,
Nach seiner lieben Stimme,
Die dieses Herz entfachte,
Wär ich zum tiefsten Schachte
Des wilden Meers getaucht.

Der Sehnsucht bange Qualen
Durchschauern meine Glieder,
Zur Tiefe zieht michs nieder,
Wo mein Gestirn verglimmt,
Nur trostlos muß ich klagen,
Bis dem verlaßnen Weibe
Des Mondes blasse Scheibe
Im Flutgewühl verschwimmt!" -

Dem Schiffer deucht im Kahne
Das Lied wie ferne Glocken,
Das Netz der goldnen Locken
Zieht magisch ihn herbei:
Er starrt ihr bleich ins Auge,
Sein Nachen geht zu Grunde -
Noch singt mit schönem Munde
Die schöne Lorelei.

Collection: 
1846

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