Wirklichkeit

So manchmal irre werd’ ich an der Stunde,
An Tag und Jahr, ach, an der ganzen Zeit;
Es gährt, es tost: doch mitten auf dem Grunde
Ist es so still, so kalt, so zugeschneit.

Habt ihr euch auf ein neues Jahr gefreut,
Die Zukunft preisend mit beredtem Munde?
Es rollt heran und schleudert, o wie weit,
Euch rückwärts! – Ihr versinkt im alten Schlunde.

Und dennoch kann die Hoffnung nie verlieren!
Sind auch noch viele Nächte zu durchträumen,
Zu schlafen, zu durchwachen – zu durchfrieren.

So wahr erzürnte Wasser müssen schäumen,
Muß, ob der tiefsten Nacht, Tag triumphiren,
Und steh: schon bricht es roth aus Wolkensäumen!

Collection: 
1806

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  • VI.
    Wohl ist die Lilie wunderbar,
    Wenn stolz sie sich im Garten wiegt,
    In ihrem Kelche, sonnenklar,
    Langsam der Morgentau versiegt;
    Doch mag ich gehn und wandern,
    So weit nur Lilien stehn,
    Ist keine vor der andern
    Mit höherm Schmuck versehn.

    ...
  • V.
    Viele Wochen sind entflohn,
    Seit ich Dich gesehen;
    Hab' auch lange Tage schon
    Keine Blum' gesehen!

    Keine Blumen und kein Lieb -
    Ach was soll das werden?
    Was soll aus dem Frühlingstrieb
    In mir innen werden?

    Zwar noch stets der Lenz...

  • IV.
    Nun in dieser Frühlingszeit
    Ist mein Herz ein klarer See,
    Drin versank das schwere Leid,
    Draus verdampft das leichtre Weh.

    Spiegelnd mein Gemüte ruht,
    Von der Sonne überhaucht,
    Und mit Lieb' umgießt die Flut,
    Was sich in dieselbe taucht.

    ...
  • III.
    Sitzt man mit geschloßnen Augen
    Einsam in dem dunkeln Zimmer,
    Blitzt oft durch die zarten Lider
    Plötzlich roter Kerzenschimmer;
    Weiß ich doch, daß Sonnenstrahlen
    Durch die Augendeckel dringen
    Und in flimmernden Gebilden
    Sich um unsre Seele...

  • II.
    Durch's Frührot zog das Wolkenschiff
    vor einem hellen Frühlingstag,
    Als ich, ein träumend Schülerkind,
    im morgenstillen Felde lag;
    Ein Falter streifte meine Stirn,
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    Ich aber schaute drüber hin
    in's tiefe, blaue...