Sonette

1.
Dich schuf Natur und brach die Form in Stücke,
Um weiße Schultern spielen goldne Lichter,
Vor dir beugt trunknen Muths sein Knie der Dichter,
Kein andres Glück gleicht deines Anblicks Glücke.

Auf das dein Bild jedwedes Herz berücke,
Gab dir Natur das schönste der Gesichter,
Welch Haupt umwallt der Locke Fülle dichter?
Dein Mund scheint mir zu höchster Lust die Brücke.

In deine Brust goß sie die Feuerseele
Und süßen Scherz, necklustig-anmuthreichen,
Und edlen Sinn, der Falsch nicht kennt noch Tücke!

So stehst du da, gottgleich und sonder Fehle,
Kein andres Weib wird jemals noch dir gleichen:
Dich schuf Natur und brach die Form in Stücke.

2.
Es gaukelt mir dein Bild vor trunknen Sinnen,
Ich sah dich gehn in griechischem Gewande,
Des Auges Strahl glomm auf in stolzem Brande,
Umspielt vom Liebreiz aller Huldgöttinnen.

Die Locken sah ich fluthend niederrinnen
Von deiner Stirn erhabnem Marmorlande,
Des Armes Rund umschmiegten goldne Bande,
Der Schultern Pracht stieg auf aus weißem Linnen.

Des Leibes Formen sah ich göttlich schwellen,
Sie scheinen leuchtend durch des Kleides Falten,
Und Schönheit schaut' ich, wie ich nie noch sah.

Und wie der Greise Schaar auf Troja's Wällen,
Jauchzt' ich entzückt der hehrsten der Gestalten,
Und stumm bewundernd haucht' ich: Helena!

3.
Oft träumt mein Herz: in deinen Armen liegen,
In Formen schwelgen, die sich üppig ründen,
Es wär' ein Glück mit Worten nicht zu künden -
So träumt mein Herz, und meine Pulse fliegen.

Doch lernt' ich längst mein wildes Blut besiegen,
Dein Reiz wird nie mir heißren Drang entzünden;
Und nie entsteigt der Wunsch des Busens Gründen,
Mich trunknen Muths an deine Brust zu schmiegen.

Mir ist's genug: mit Augen, ewig-wachen,
Im Wonnemeer der Schönheit mich berauschen
Und durstigen Sinns an goldnen Zügen hangen,

Der Grazien Spiel erspähn auf rosgen Wangen,
Des Mundes süßen Zauberlaut erlauschen
Und dein berückend-übermüthges Lachen.

4.
Mein Herz verlangt nach dir, wie nach dem Lichte
Der Sclave seufzt am düstren Marterorte,
Wie an der Gottheit heilgem Gnadenhorte
Der Beter hängt mit stummem Angesichte.

Des Daseins Last drückt mich mit Bleigewichte,
Du thust mir auf des Paradieses Pforte;
In Qual vergeht mein Herz, das gramverdorrte,
Vor deinem Blick wird jedes Leid zu nichte.

Wenn ich dich habe, jauchz' ich zaubertrunken,
Mein Geist erstarkt, des Erdballs Nebel schwindet,
Und ätherwärts streb' ich mit kühner Schwinge.

Wenn du mir fehlst, ist all mein Glück versunken,
Mein Herz verzagt und bäumt sich und empfindet
Trostlos die schaale Nichtigkeit der Dinge.

5.
Hörst du des Walzers lockende Sirenen?
Laut tobt die Lust im Saal, im lichterhellen,
Die Augen glühn und weiße Busen schwellen,
Daß lustberauscht sich alle Pulse dehnen.

Nun woll' dein Haupt an meine Schulter lehnen,
Laß sich zum Reigen Hand mit Hand gesellen,
Indeß, durchwogt von süßen Toneswellen,
Die Brust sich hebt in wildgewaltgem Sehnen.

Wenn Geigen tönen, schmetternd Hörner blasen,
Dann will ich jauchzend an die Brust dich pressen
Und wilde Kunde leis in's Ohr dir flüstern,

Daß längst mein Mund nach deinem Munde lüstern,
Und daß mich's lockt, entbrannt und weltvergessen
Mit dir so in die Ewigkeit zu rasen.

6.
Wie oft rief ich den Tod schon an mit Beben,
Mich zu befrein aus dieses Daseins Banden,
Wenn öd' und leer die Tage mir entschwanden
Und fruchtlos blieb des Busens bestes Streben.

Doch nun preis' ich auf's Neu die Lust, zu leben,
Seit dich entzückt die durstgen Blicke fanden,
Und schlimmre Pein nicht gäb's in irdschen Landen,
Als: sterbend jetzt in's Reich der Nacht entschweben.

Dein Reiz knüpft mich an's Sein mit tausend Ketten,
Und Glück heißt mir: in all der Zukunft Tagen
Mich stumm zu deinen Füßen hinzubetten,

Dich anzuschaun mit seligem Behagen
Und trunknen Sinns in klingenden Sonetten
Dir huldgend stets, wie schön du bist, zu sagen.

7.
Der Heimath fern kreis' ich im Lebensreigen,
Dein Herz sei fortan Heimath mir hienieden,
Stets hab' ich fremd den Menschenschwarm gemieden,
Dir einzig gab mein Sinn sich ganz zu eigen.

Der Mutter Bild deckt längst des Grabes Schweigen,
Schaff du mir neu der Kindheit goldnen Frieden,
Nie war mir Trost aus Schwestermund beschieden,
Woll du dich hold und schwesterlich mir neigen.

Jedweder Freund schwand mir im Weltgetriebe,
Steh du als Freundin schützend mir zur Seite,
Wenn mich umtost der Streit des Erdenballes;

Der Sehnsucht höchstes Ziel heißt: Liebe, Liebe,
Nimm hin die Seele, die sich ganz dir weihte,
Sei du mein Hort, mein Glück, mein Gott, mein Alles.

8.
Ich liebe dich mit jener keuschen Glut,
Wie Sehnsucht und Enthaltsamkeit sie schüren;
Wenn Götter mir dein Bild entgegenführen,
Pocht laut mein Herz, das allzu lang geruht.

Es wallt und siedet wilderregt mein Blut,
Wenn deines Kleides Falten mich berühren;
Im Busen glaub' ich Lavaglut zu spüren,
Wenn fessellos mich streift der Locken Flut.

Ein Blick von dir beglückt mich unermessen,
Dein Händedruck durchbebt zu tiefst die Brust,
Ein süßes Wort stillt all der Seele Wehen;

Und dürfte jemals Mund auf Mund sich pressen,
Mich dünkt, nicht trüg' ich solche Götterlust,
Und stumm in deinem Kuß würd' ich vergehen.

9.
Gieb deine Seele mir! o hör mich flehen,
Und nimm die meine ganz dafür zu eigen,
Inbrünstigen Drangs laß Brust an Brust sich neigen,
Und weich laß deinen Athem mich umwehen.

Laß tief, ganz tief mich dir in's Auge sehen,
Gebrochen sei der Scheuheit feiges Schweigen,
Das Herz laß auf zum Lippenrande steigen
Und trautes Wort von Mund zu Munde gehen.

Laß lesen mich in deiner Seele Gründen,
Mein tiefstes Sein laß ganz mich dir erschließen
Und heiß um süßes Einverständniß werben;

Wie Ströme zwei selbstlos in Eines münden,
Laß Seel' in Seele still hinüberfließen,
Und lustverzehrt der Zweiheit Qual ersterben.

10.
Genieß' mit mir, was Künstlerhände schufen,
Was Dichtern lieh der gütgen Musen Gnade;
Versink' mit mir im Melodieenbade
Und klimm empor des Schönheitstempels Stufen.

Wo weiche Stimmen in den Lüften rufen,
Im Alpenthal zieh' mit mir stille Pfade;
Laß weilen uns, wo laut an's Felsgestade
Die Meerfluth braust aus nie erschöpften Kufen.

Was uns Natur an Wonnen kann bescheeren,
Was Kunst uns beut in edlem Schöpfertriebe,
Gemeinsam stets laß uns das Süße theilen;

Was göttlich ist, laß heißentbrannt uns ehren
Und eins, ganz eins im Geist und in der Liebe
Des Busens große Sehnsuchtswunde heilen.

11.
Es gleicht mein Herz dem schlummernden Vulcane,
Tief in sich birgt es dumpfverhaltne Glut;
Wenn lang' mein Blick auf deinen Zügen ruht,
Dann glüh' ich heiß, ob's auch dein Sinn nicht ahne.

Ich hab' entsagt jedwedem Thorenwahne,
Kein irdisch Ziel erregt mir Muth und Bluth;
Gefaßt seh' ich des Schwarmes gierge Wuth,
Zu tiefst verzehrt von bittren Unmuths Zahne.

Und wollt' ich reden, würd' ich frei dir sagen:
Die arge Welt dünkt schlechter mich als Koth,
Und schreckhaft ist's, des Lebens Last zu tragen.

Die Liebe nur nenn' ich des Lebens Brod,
Dein Bild ist Leitstern meinen Erdentagen,
Doch ohne dich ist Eins nur gut: Der Tod.

12.
Laß still mich dir zu Füßen ruhn und wende
Dein Aug' mir zu, das große, schmachtend-feuchte,
Daß sonnenhaft ob mir dein Antlitz leuchte,
Und gönne mir zum Spiel die weißen Hände.

Mit sanftem Hall aus süßem Mund entsende
Der Worte Strom, der stets Musik mich däuchte;
Mein Herz, das keiner Menschenmacht sich beugte,
Dir dient es froh und lauscht dir sonder Ende.

Wie bist du schön in stolz-beredtem Grimme,
Wie ziert es dich, wenn kühn die Lippen scherzen,
Wie tönt so mild der Wehmuth sanfte Klage;

Und Eins nur fehlt: daß diese Zauberstimme,
Die magisch längst mir widerklang im Herzen,
Ein einzges Mal "Ich liebe dich" mir sagt.

13.
Mein Herz erbebt in langem, bangem Ach,
Es ist geschehn: dein Bild ist mir entschwunden;
Es krankt die Brust an unheilbaren Wunden,
Und glückberaubt vertraur' ich Tag um Tag.

Es schweift mein Blick den luftgen Wolken nach
Dorthin, wo starrer Zwang dich hält gebunden;
Dein Glanz umflirrt mein Aug' zu allen Stunden,
Und jeden Reiz ruf' ich im Geist mir wach.

Abthu' ich stumpfen Sinns des Tags Geschäfte,
Auf's Lager sink' ich matt am Abend hin
Und weine bebend heißer Sehnsucht Zähren;

Das grimmste Weh lähmt meines Geistes Kräfte,
Und Eines nur eracht' ich als Gewinn:
Der Liebe Leid im Liede zu verklären.

14.
Ich sonnte mich in deiner Schönheit Scheine,
Nun irr' ich einsam durch die öden Gassen;
Daß fern du bist, noch kann's mein Sinn nicht fassen,
Auf weiter Welt winkt Tröstung keine, keine.

Ob auch mein Herz in banger Sehnsucht weine,
Im alten Gleis dreht sich die Welt gelassen,
Rings drängen sich des blöden Volkes Massen,
Doch nirgends schau' ich dich, die Einzge, Eine.

Dort ragt das Haus, wo Aug' in Aug' wir ruhten,
Die Pforte schau' ich, drein du oft verschwunden,
Das sind, die oft dein Fuß betrat, die Stufen:

Mich bannt der Ort, und stets will mich's gemuthen,
Als ob dein Mund wie eh' in süßen Stunden
Melodisch meinen Namen müßte rufen.

15.
Es träumte mir von Küssen, endlos-langen,
Hingebend hing dein Mund an meinem Munde,
Es las mein Aug' in deines Auges Grunde,
Und fest hielt ich dein süßes Bild umfangen.

Ich wachte auf, es war der Traum zergangen,
Es graute schon des Morgens erste Stunde,
Im Busen spürt' ich neu des Abschieds Wunde,
Und heiße Glut lag mir auf Stirn und Wangen.

Mein Herz, auf's neu in stolzem Groll sich bäumend,
Schalt laut sein Loos, das schmerzenreiche, schnöde,
Und bebte bang, vom einstgem Glücke träumend:

Die Menge lärmte drunten schon, die blöde,
Das Licht ging auf, den Horizont umsäumend:
Mir schien es nicht, die Welt war öde, öde.

16.
Ob auch der Zeit grausamer Wechselgang
Im Geist mir tilge deines Bildes Züge,
Ob traut auch nie mehr Hand in Hand sich füge,
Eins lebt mir ewig: deiner Stimme Klang.

Seitdem zuerst ihr Zauber mich bezwang,
Beherrscht sie magisch meines Geistes Flüge;
Ob ich den Fuß zum Rand des Erdballs trüge,
Es folgt ihr Laut mir wie Sirenensang.

Vielleicht vergess' ich auf des Lebens Bahnen,
Daß kühn mein Arm einst einen Leib umspannt,
Desgleichen nicht auf Erden wird gefunden;

Doch stets wird deiner Stimme Klang mich mahnen,
Daß du von je im Tiefsten mir verwandt,
Und daß mit dir mein schönstes Glück entschwunden.

17.
Wenn starr mich einst umfängt des Grabes Hafen,
Ich weiß: kein Herz wird liebend mein gedenken,
Kein Aug' wird trüb auf meine Gruft sich senken;
Der Nacht gehört, wen Todespfeile trafen.

Die Menschen sind des Augenblickes Sclaven,
Und kurze Gunst nur pflegt die Welt zu schenken,
So war's von je und wenig soll mich's kränken,
Mir ist's genug, läßt sie mich schlafen, schlafen.

Ich trag' es leicht, daß alle mich vergessen,
Wenn ein Herz nur zu rühren mir gelungen,
Wenn eine Brust mein Bild noch hegt: die deine.

Gern ruh' ich unter säuselnden Cypressen,
Wenn einst dein Aug', von sanftem Leid bezwungen,
Nur eine Thräne still mir weiht, nur eine.

18.
Gedenke mein! dein werd' ich stets gedenken,
Wenn mich das Meer umtost mit Donnerklängen,
Wenn niederwärts von schroffen Alpenhängen
In's blumge Thal sich meine Blicke senken,

Wenn staunend an des Genius Geschenken
Im Marmorsaal die durstgen Sinne hängen,
Wenn süße Töne sich an's Herz mir drängen
Und auf in's Lichtreich die Gedanken lenken.

So oft, entrückt des niedren Schwarms Gelüsten,
Mein Geist der Schönheit Feier wird begehen,
Wird auch dein Bild mir nahn in goldnem Scheine:

Dann kost' ich Höchstes mit dir im Vereine,
Und ahnungsreich wird mich ein Hauch umwehen,
Als ob von fern sich unsre Seelen küßten.

Aus: Nacht und Sterne
Neue Gedichte von Albert Möser
Halle Verlag von G. Emil Barthel 1872

Collection: 
1890

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