6.
Der Liebe Werth schätzt nur, wer viel gelitten,
Wem neues Leid schuf jegliches Erwachen,
Wer stets durch Nacht und Sturm den Lebensnachen
Gezwängt und doch sich Frieden nie erstritten.
Wer stets durchs Leben ging mit leichten Schritten,
Wer froh genoß des Glückes Siebensachen,
Des Herz erstirbt in mählichem Verflachen,
Ihn locken nicht der Liebe zart're Sitten.
Vom Glanz bestrickt, tiefinnigem Bedürfen
Entfremdet, fröhnt er thörichtem Beginnen,
Und nie wird holdes Sehnen ihm geboren.
Der Arme nur, der alles gab verloren,
Kann in der Liebe alles neu gewinnen
Und Götterlust in vollen Zügen schlürfen.
Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890