Wack’rer Mann

Wack’rer Mann! Schon früh am Morgen
Öffnet er die Ladenthür,
Räumt, als trüg’ er schwere Sorgen,
Keuchend sein Geräth herfür:
Erst den Dreifuß, dann die Zange,
Ahle, Schusterkneip und Zirn,
Oft auch steht und sinnt er lange,
Oder reibt sich ernst die Stirn;
Endlich sitzt er – doch die Hände
Ruhen müßig noch im Schooß,
Denn am linken Straßenende
Ist ein schlimmer Handel los:
Frühbezechte Eseltreiber
Prügeln sich dort blau und wund,
Und der Chorus ihrer Weiber
Übt behende Faust und Mund.
Durch verächtliche Geberden
Sagt der Meister, was er denkt,
Bis ein Stiefel, noch im Werden,
Seine Blicke abwärts lenkt.
Heut’ noch wird er ihn vollenden –
O gewiß, er schwört’s bei sich!
Dreht ihn zwischen kund’gen Händen
Und holt aus zum ersten Stich.
Da – ein Ruf, ein flüchtig Grüßen –
Hastig schießt’s an ihm vorbei –
„Euer Blatt!“ und ihm zu Füßen
Liegt die Zeitung. – „Nun es sei!“

Vorerst will er sich berathen,
Was dem Vaterlande noth,
Welches Bündnis, welche Thaten –
Traun, noch ist man Patriot!
Spät erst, doch mit stolzen Blicken
Nimmt er seinen Stiefel auf,
Zwischen ihm und Rom’s Geschicken
Hastet sein Gedankenlauf,
Bunt sich kreuzend hin und wieder:
„Afrika“ und „Crispi“ – „Zwirn“ –
„Mehr Soldaten“ – auf und nieder
Rast es so in seinem Hirn,
Bis der Schweiß in hellen Tropfen
Von der biedern Stirn ihm fällt
Und die Hand mit ihrem Klopfen
Leise bebend innehält.
Da – ein helles Fensterklirren
Über ihm – sein Athem stockt –
„Sie!“ und seine Blicke irren
Sehnend aufwärts: Schwarzgelockt
Nickt ein Köpfchen ihm von oben
Flücht’gen Dank auf seinen Gruß,
Während er, das Haupt erhoben,
Nachstarrt, bang und voll Verdruß....
Nun tritt sie heraus, nun schreitet
Lächelnd sie dem Corso zu –
Aus den braunen Händen gleitet
Ihm zum letzten Mal der Schuh....

Collection: 
1892

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