Ein düst’rer Steinkoloß ragt in die Schatten
Der Nacht hinauf. Die grauen Wände starren
Gespensterhaft empor, und sie umflattert,
Aufzuckend hier und da, ein fahler Schimmer
Der Gaslaterne, die im Hofe brennt
Und deren Glas von Sturm und Regen klirrt.
Auf harten Steinen gellt der Tritt der Wache;
Von Eisengittern starren tote Fenster –
Ein Zuchthaus. –
Ein scheußlich Ungeheuer, brütet es
In dumpfer Finsternis und haucht Verdammnis.
In später, dunkler Nacht schreit’ ich vorüber
Einsam und stumm. Doch tief geheimes Grauen
Durchfröstelt mein Gehirn. – Ein öder Friedhof
Ist gegen diese stille Menschenwohnung
Ein lächelnd schöner Paradiesesgarten,
Ist eine Stätte süßer Lust, verglichen
Mit diesem Grabe der Lebendigen. –
Wir schreiten leichten Fußes dran vorüber,
Behaglich eingehüllt in unsre Mäntel
Und in den warmen Frieden unsrer Tugend.
Wir wandeln durch den hellen Sommertag
Und unterm Sternenglanz der Winternächte –
Und über unser Antlitz fliegt kein Schatten.
Wir drehen uns im kerzenhellen Saale
Zum lust’gen Schall der Geigen und Trompeten,
Wir schlürfen lachend aus kristall’nen Bechern
Den roten Wein, daß er das Hirn durchglute
Mit holden, wundersamen Phantasien –
Und über unser Antlitz fliegt kein Schatten.
Wir wärmen uns am stillen Herd des Hauses
Und ziehen an die Brust das schöne Haupt
Des friedlich-sanften Weibes und der Kinder
Vom Jugendsonnenglück umstrahlte Häupter –
Und über unser Antlitz zieht kein Schatten.
Wer aber diesem steinernen Gespenst
In sturmzerriss’ner Nacht vorüberschreitet,
Dem bohrt sich ein Gedanke tief ins Hirn,
Und in das Ohr raunt ihm ein Unsichtbarer:
„Sieh diese Stätte schuldbeladnen Elends
Und überschlag’ den Wert der eignen Tugend!
Wer fiel von diesen, deren Klageruf
An unbarmherzig kalte Mauern gellt –
Wer fiel in Schande, weil du mitleidlos
An seinem Jammer einst vorübergingst,
Als er noch gut war, doch vom Glück verlassen?
Wer fiel in Schande, weil du ihn verkannt?
Wer fiel in Schande, weil du seiner Jugend
In frevlem Leichtsinn eitle Lehren gabst,
Die abwärts führten, statt hinauf zum Lichte?
Wer fiel in Schande, weil du lässig warst,
Zum Guten ihn zu führen, seine Seele
Mit reinem Himmelslichte zu erfüllen,
Weil du in Faulheit deines eignen Wohlseins
Behaglich nur gewartet und sein Herz
Dalag, ein toter Acker, nur bedeckt
Vom Herbstesnebel eines öden Daseins?
O ihr, ihr Glücklich-Tugendsamen, Reinen!
Klebt euer Schuh, wenn er zum Tanze hüpft,
Nicht fest zuweilen an dem glatten Boden
Vom Blute eines Mords? – Dringt nicht zuweilen
Durch alle Wohlgerüche eurer Gärten,
Durch eurer Kammern liebliches Arom
Der scharfe Pesthauch einer eklen Sünde? – –
Die ihr das Haupt so frei zum Himmel hebt,
Vergeßt mir nicht in eurem guten Herzen,
Daß hinter diesen grauen Kerkermauern
Ein redlich Teil von eurer Sünde wohnt,
Und laßt in eurem Innern widerhallen
Den wilden Schmerzensschrei der hier Begrabnen,
An deren Fuß die schwere Kette klirrt
Und die verdammt sind – auch um eure Schuld!“ –