Erscheinung

Eine düst’re Wolke seh’ ich schwimmen
Durch den abendlichen Himmelsraum.
Nur um ihres Scheitels Zacken glimmen
Zarte Lichter wie ein Flockensaum.

Gleichwie starrgewalt’ge Bergesschroffen
Ragt die Wolke hoch in den Azur.
Doch um ihre Stirne lichtgetroffen
Hängt des Alpenglühens Rosenflur.

Denn verborgen hinter jener Mauer
Strömt der Gnadenquell des Sonnenlichts,
Und die Wolke, uns ein Bild der Trauer,
Blickt nach dort verklärten Angesichts.

Also sah ich düst’re Menschenstirnen
In den Grenzen dieser Erde auch:
Sie umfloß wie Glanz der Alpenfirnen
Eines fremden Lichtes leiser Hauch.

Augen sah ich, die dem Hier entrinnen,
Das mit Tränenschatten sie umhüllt;
Doch versunken war ihr Blick nach innen
Und von dort mit sel’gem Glanz erfüllt. –

Collection: 
1907

More from Poet

  • (Die Geliebte spricht:)

    Ach, mit gepreßtem Herzen
    War ich aufs Lager gesunken;
    Ich hatte heimlich-verschwiegen
    Den Kelch des Leids getrunken.

    Ich wähnte das Glück verloren;
    In bangen Zweifelstunden...

  • Mit meinem Lieb durchstrich ich deutschen Wald,
    Und froher Rausch aus grünem Licht und Duft,
    Aus Windes-Orgelklang und Bergesluft
    Ergriff die freudeoffenen Herzen bald.
    O Kuß in eines Walds geheimstem Grund!
    Fern oben über...

  • Rings umschattet uns schweigendes Waldesgrün;
    Atmende Dämmrung hebt sich sacht zu den Wipfeln;
    Nur durch die Lichtung glänzt und glitzert
    Des Stromes rinnender Spiegel.
    Da faßt du mich lächelnd bei beiden Händen
    Und fragst mich,...

  • Du sollst mir nicht so scheu bewundernd,
    So staunend in die Augen sehn;
    Nicht soll mein Bild so übermächtig,
    So stolz vor deiner Seele stehn.

    Du sollst nicht wähnen, daß mein Denken
    Sich frei im reinen Lichte wiegt,...

  • Oft wenn am Fenster glüht die Lampe
    Und du mir winkst den Scheidegruß,
    Weilt unten noch im stillen Garten,
    Gebannt durch Zaubermacht, mein Fuß.

    Dann trifft mich noch aus deinen Augen
    Ein Blick so wundersam und tief,...