Die Schönheit

Wie freudig die Lerche
Schwebet entgegen
Dem röthlichen Morgen,
So schwebet in melodischem Fluge des Gesangs,
Lieblichste Tochter der Natur,
Schönheit, meine dürstende Seele dir nach!

Deine heimische Laube
Blühet unter den Sternen nicht:
Aber auf Strahlen des Himmels
Schwebest oft zu Sterblichen du hinab!
Lächeltest mir oft,
Von purpurnen Wangen des Morgens,
Oft vom Schimmer des Mondes,
Und vom Spiegel des Sees, den der Hain umkränzt,
Sanfte Ruh in die Seele,
Ahndungen und Himmelsgefühl!

Ach, auf Wangen des Mädchens
Sah ich dich himlischer noch!
In sanftrollender Unschuld
Ihrer schmelzenden Augen
Sah ich dich himlischer noch!
Hörte dich in den bebenden Melodien.
Ihrer schwebenden Stimme!
Hörte dich! sah dich! fühlte dich!
Und in Flammen der Liebe ...

Wehe mir! wehe!
Was bebt meine Seele
Plözlich in die Ebbe des Gesangs zurück!
Selinde!
Selinde!
Versiegt bei deinem Namen mein Gesang? ...

Stolberg sei ein Mann!
Ströme wieder, Gesang!
Ström', ich beschwöre dich bei deiner Kraft!
Denn die heimische Laube
Der seligen Göttin
Blühet unter den Sternen nicht!

Himmlische Urschönheit!
Oder wie nennen die Unsterblichen dich,
Welche besser dich kennen, als Homer,
Plato, Klopstock und Oßian?
Bist du der olympischen Tugend
Schwester? oder sie selbst?

Selige Bewohner des Lichts,
Welche sich sonnen in deinem Stral,
Und mit schwellendem Segel
Schiffen auf der Wahrheit unendlichem Oceanus!

Weise der Erde
Stehn am sandigen Ufer,
Freun sich, wie Kinder,
Wenn die kleine Kenntniß
Zappelt an der Angel schwankendem Rohr!

Lächeln, wie Kinder,
Ueber den weissen Schaum
Und die bunte Blase,
Ehe sie am Gestade zerplazt!

Lieber wall' ich am Ufer,
Ruhig und Gedankenvoll!
So hört doch mein Ohr
Der ernsten Wogen rauschenden Fall!
Es spähet mein Blick
Die Argo, die einst
Zum reineren Golde mich führt!

Schweig indessen, Gesang!
Bis du einst der Göttin,
Wie die Donau der Sonne,
Von ihrem Glanze golden und roth,
Freudig und donnernd entgegen strömst!

Collection: 
1794

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