Draußen rüttelt an dem starken Riegel,
Rüttelt an der Pforte Früh-Lenzwind,
Als entriß er heimlich gern das Siegel
Von den Wundern, die verschlossen sind.
Spiele mit den Wolken, flieg durch Sterne,
Küsse die erwachenden Syringen,
Strebe in die sehnsuchtoffne Ferne
Jauchzend auf den lieben Maienschwingen;
Rede mit den jungen Nachtigallen, -
Hörst du sie aus Knospenhecken dort?
Juble, klage, sing mit allen, allen,
Aber geh vorbei an diesem Ort!
Denn auf deinen zartbewegten Flügeln
Trägst du den befreiten Lenz zu jenen,
Die vom Garten bis zu fernsten Hügeln
Sich nach seiner reichen Jugend sehnen;
Aber hier und heut, in diesen Räumen
Steht das Leben selbst in hohem Mai.
Machen Glut und Sehnsucht alles Träumen
Aus den knospenengen Hüllen frei.
Glüht dein Mund, mein Lieb, nicht gleich den Rosen?
Duftet nicht dein Atem wie Narzissen?
Ist dein Lieben nicht wie Lenzestosen,
Das dem Winter: Leid, sich warm entrissen?
Zeichnet Leidenschaft dir auf die Stirne
Nicht so junge, wundersame Glut,
Wie sie auf der stolzen Bergesfirne
Nur im Frühelicht des Lenzes ruht?
Und die Knospen aufgehn, wenn ein lauer
Maienregen über Nacht geflossen,
Hat mein Herz sich nicht im Thränenschauer,
Wie die Märchenblume dir erschlossen?
aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894