Und wieder ist ein Tag ins Nichts gegangen;
Der Tauwind raunt und redet durch die Nacht,
Die von bewegten Wolken wild umhangen,
Mit großem Mondblick fragend ist erwacht.
Sie hat in mir ein Heimweh, ein Verlangen,
Wie eine Gottesflamme hoch entfacht
Nach etwas Ungeahntem, Wundervollen,
Nach etwas, das ich hätte leben wollen.
Und tiefer breitet sich der Nacht Vergessen -
Die unerfüllte Stunde fragt nach dir,
Und rinnt dann ins Verlorene; indessen
Der Geist von Lust und Willen lodert mir.
Und eine Kräftefülle unermessen
Die lichte Grenze dieser Seele hier
In regem Lebensdrange will vernichten,
Um, sich vermählend, in dein Ich zu flüchten.
Doch ist mir nur noch kurze Zeit gegeben,
Dem innren Reichtum wird kein Raum gegönnt,
Sich jubelnd auf der Erde auszuleben.
Mich fordert bald ein dunkles Element ...
Und unbegreifend schreitest du daneben,
Und du verstehst es nicht, wie's in mir brennt:
Der wen'gen Erdentage leere Hüllen
Nur noch mit deinem Inhalt zu erfüllen.
Und du verstehst es nicht, wenn meine Mienen
Geheime Angst durchirrt in Fieberhast.
Wie kleinlich Zweifeln ist's dir dann erschienen,
Das du in sichrem Stolz verworfen hast.
Du Lebenskräft'ger, dem die Stunden dienen,
Der sie, ein weites Herrscherreich, umfaßt,
Der lächelnd noch mit ihrem Wert verschwendet,
Indes der Andre sich zur Grenze wendet ...
Dann manchmal, wenn ich nächtens einsam sitze,
Und du vielleicht in ernster Pflichten Kreis,
Nach kampf- und arbeitvoller Stunden Hitze
Sich deine Stirne müde neigt und leis,
Dann ist's, als säh' ich deiner Augen Blitze
Auflodern, wie von einer Sehnsucht heiß, -
Und deine Blicke fragen in die Weiten,
Als suchten sie verlorne Seligkeiten ...
Ob dir dann auch, wie aus versunknen Träumen,
Auftaucht das kleine, dämmernde Gemach?
Ein zartes Demantlicht lag in den Räumen,
Das wie aus seltsamen Gestirnen brach - - -
Und kam doch nur von unsern Wimpernsäumen:
Denn unsre Seele ward im Auge wach,
Und aus den scheuen, warm erregten Blicken
Ging's auf wie Morgenröte von Entzücken!
Wie ward an meinem liebevollen Herzen
Der Marmor deiner Glieder glutbelebt!
Die Brust, gegossen wie aus edlen Erzen,
Wie sie sich, weich, in fremder Wonne hebt,
Und alles, was die Sehnsucht schuf an Schmerzen
Vergeht im Kuß ... und alle Qual verschwebt,
Da sich die beiden zitternden Gestalten,
In Einheit aufgelöst, umfangen halten.
Und weißt du's nun, mein Lieb, was mir tiefinnen
Den besten Kern der Lebenskraft verletzt?
Ich seh' die Stunden ins Verlorne rinnen,
Indes das Todesbild mein Blut durchhetzt.
Ich kenn' das Glück, - ich weiß es zu gewinnen,
Doch sind der Sehnsucht Grenzen hart gesetzt -
Und mir wird wenig Erdenfrist gegeben,
Das Glück an deinem Herzen auszuleben.
O, darum geize nicht mit diesem Glücke!
Sei groß! denn du bist unermessen reich.
Gib mir dein ganzes Ich! nicht Augenblicke
Der Seligkeit! Dich ganz als Himmelreich ...
Nach uns zerbrech' die Welt in Splitterstücke!
Lachend sehn wir dem Tod ins Antlitz bleich:
Denn, wenn wir uns mit starkem Arm umschlossen,
Ward alles Paradies voraus genossen!
aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894