Von leise welkendem Geäst verhangen
Ist nun der Pfad auf meiner wilden Heide;
Die dürren Zweige rascheln auf wie Schlangen
Und ringeln sich an meinem wall'nden Kleide.
Und drüben schlummern alle reichen Gärten,
Verdämmert liegt der Weg durch Land und Wiese,
Gleichwie: im Nebel tiefverlorne Fährten
Zum Glück, zu sommerlangem Paradiese ...
Und aus den Sternen fallen zarte Flammen
Und lodern in das Nichts hin, wie das Leben;
Denn Gluten, die aus jenen Höhen stammen,
Sie sterben, wenn sie tief zur Erde schweben.
Der Wind stöhnt auf; - wie fliehende Gestalten
Eilt es aus Wolken und aus Nebelschleier,
Wie lichte Arme, die sich strebend halten,
Und sich verketten - näher, süßer, freier ...
Wer sind dort drüben jene stillen Beiden?
Sie gleiten wie in goldnem Rauch von Lichte,
Unmeßbar klagt aus ihrem Blick das Leiden;
Süßschuldige, geht ihr zum Gottgerichte?
Da überkommt es mich wie banges Wissen
Von zweier Edelkinder Glutgeschicke:
Einst in Florenz, in Frühlingsdämmernissen
War's, als ihr tödlich wurden seine Blicke.
Als sie "nicht weiter lasen an dem Tage",
Weil sie sich eine Welt zu sagen hatten!
Ein flammend Anschau'n, eine wilde Frage,
Und - die sich fremd sein sollten, waren Gatten.
Der Malatesta hält sie fest, die Blasse, -
Sie hängt so lebensbang an seinem Herzen - - -
Sie ziehn durch Sterne ihre stille Gasse
Bis weit dahin zu jener "Stadt der Schmerzen",
Von deren Qual der wunderbare Dante
Mit strengem Griffel Kunde uns geschrieben.
Entwandeln sie nach dort? zwei Weltverbannte,
Weil heiß zur Hölle brannte all ihr Lieben? ...
Ein Stern glüht plötzlich hell aus einer Wolke -
Da schau ich, wie sie sich im Fluge wenden!
Nein, ewig nein! nicht beim "verlornen Volke"
Kann diese todessel'ge Einheit enden!
Es liegt ein Zug von Edenseligkeiten
So heimlich lieb auf ihren toten Wangen,
Als sei Unsterbliches aus Jugendzeiten
Mit ihnen in die Ewigkeit gegangen ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Wie Sehnsucht ruft es durch die Heidegründe,
Und alles Land ist nebelblaß geworden,
Indes das Wandelbild der süßen Sünde
Im Wind entflieht, der streng aufsteht im Norden.
Dort liegt mein Schloß, ob dem die Wolken jagen,
Paolo und Francesca sind nur Schatten,
Sie starben längst vor vielen tausend Tagen -
Der Herbst von heut liegt schwer auf allen Matten,
Ich weiß es, und ich weiß, daß Nebelbilder
Nur trugen jenes toten Glückes Züge -
Und doch geht meines Blutes Welle wilder,
Und Andres schaute ich als luft'ge Lüge.
Vielleicht sind tiefbegrabene Gedanken,
Geheimes Sehnen, das ich nie bekannte,
Und heiße Wünsche, die mir früh versanken,
Gestalt geworden in dem Paar des Dante?
Denn plötzlich war's, als sei ich das gewesen
Und du, der nie an meinem Mund gehangen,
In dessen Blick ich rasche Glut gelesen,
Und dem ich doch vorbei, vorbei gegangen ...
Du, den ich hätte fraglos lieben können,
Voll Jauchzen bis zu trunkensüßen Sünden.
Was fühl' ich heute deine Augen brennen
Anklagevoll, und Sehnsucht in mir zünden?
Nach jener einz'gen Leidenschaft der Träume,
Die unberührt durch Höllenwehe schreitet,
Und wünschelos durch aller Himmel Räume,
Weil sie sich selber Paradies ist, gleitet?
aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894