Abschied

1.
Im tiefsten Seelenschreine
Will ich dein Bildniß hegen,
Dort will ich's im Vereine
Zu allem Heil'gen legen;
Du gingst mir lang zur Seite,
Mein Herz ward gut und stille,
Nun führt dich in die Weite
Des argen Schicksals Wille.

Nun bald, dich mir entraffend,
Schweifst du auf fremden Wegen,
Und zwischen uns wird klaffend
Endloser Raum sich legen;
Es zuckt mein Herz zerschlagen,
Erfaßt von bangem Wehe,
Und ewig geht mein Fragen:
Ob ich dich wiedersehe?

An Bächen werd' ich schweifen
Und träumend dein gedenken,
Wenn blasse Mondesstreifen
Auf Wald und Flur sich senken;
Du wirst, ein lieber Schatten,
Im Weltlärm mich umschweben
Und wirst den Lebensmatten
Mit sanftem Trost erheben.

So schaff' ich mir Genüge,
Will niemals ganz verzagen,
So lang der Sehnsucht Flüge
Mich noch zur Ferne tragen,
So lang noch Herz zum Herzen
Hinschweift auf Geisterstegen,
Ob auch der Trennung Schmerzen
Mir herb die Brust bewegen.

So mag die Zeit verrinnen,
Mein Leid will ich verhehlen;
Doch scheid' ich einst von hinnen,
Darf mir dein Bild nicht fehlen,
Noch einmal will ich lange
Recht tief ins Aug' dir sehen
Und frei von ird'schem Drange
Dann ewig schlafen gehen.

2.
Sonst stieg kein Tag vom Himmel nieder
Und keiner entschwand in die Fluthen wieder,
An dem nicht versunken und tief und traut
Mein Aug' mit Entzücken in deins geschaut:
O sieh! das soll nun anders sein,
Du scheidest hinweg, das schafft mir Pein,
Dein liebes Bild wird mir versinken,
Und Freude wird nirgends, ach nirgends mir winken:
Allein werd' ich schweifen durch knospende Buchen,
In Träume versenkt und des Waldes Leben,
Doch plötzlich werd' ich den Blick erheben
Und sehnend dein liebes Antlitz suchen,
Als ob du wie eh in des Frühlings Wehn
Mir lächelnd müßtest zur Seite gehn,
Doch werd' ich in leere Luft nur starren,
Dich rufend umsonst auf Antwort harren -
So werden die Tage sich bunt verweben
Aus Morgen und Abend und flüchtig entschweben,
Der Lenz mit Klängen und hauchenden Düften
Wird weichen den eisigen Winterlüften,
Der Wald wird grünen und neu sich entfärben,
Es werden die Menschen entstehen und sterben,
Das Leben wird gehn so heute wie morgen
Im ewigen Gleis mit Seufzen und Sorgen,
Du aber weilst fern und mich bannt die Pflicht:
Wie ich's tragen werde, das weiß ich nicht.

3.
Ich fuhr aus süßem Schlaf empor,
Der Finken Sang scholl mir ins Ohr,
Durchs Fenster ein drang linde Luft
Und sonn'ges Licht und Blüthenduft;
Rings Freudenschall und Frühlingsschein -
Mein Herz auch wollte fröhlich sein;
Da plötzlich stockte schmerzgelähmt sein Schlag:
O Qual! Das ist, der dich mir raubt, der Tag.

Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890

Collection: 
1890

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