Nachtlieder

1.
Es geht ein Rufen durch die Nacht,
Verklingend in den stillen Fernen,
Der Wälder Meer rauscht heimlich-sacht,
Bestrahlt von tausend goldnen Sternen;
Rings Nacht und Einsamkeit!
Leis flüstert's in den stillen Gründen,
Nun will sich weit und breit
Der Nacht geheimes Liebesfest entzünden.

Hernieder von des Berges Rand
Send' ich den Blick in Thalestiefen,
Der Nachtwind geht durchs stille Land,
Mir ist, ob fern mich Stimmen riefen;
Du holdes Mädchen mein,
Nun steig herauf aus Thalesmatten,
Laß uns im Sternenschein
Still wandeln durch die grünen Waldesschatten.

Ich schmieg' um deinen Leib den Arm,
Wir plaudern süß in leisem Flüstern,
Ich halte still dich, fest und warm,
Wenn schwarz der Wald sich will verdüstern:
O Liebe hold und traut,
Wenn tönend uns umkreist der Sterne Reigen,
Wenn, tief von Nacht umgraut,
Wie träumend rings die grünen Wälder schweigen.

2.
Geliebte, nun komm herab,
Der Mond bescheint die Runde,
Gewitter ziehn fernab,
Es leuchtet im Waldesgrunde:
Im Aether die Sterne schwimmen:
Hörst du die lockenden Stimmen
Durchklingen die Sommernacht?
Das ist die Liebesstunde,
Bevor der Tag erwacht.

Laß wandeln uns im Verein
Hier unter blühenden Bäumen,
Stillselig ganz allein
Aufschaun zu den Wolkensäumen;
Die Sterne will ich dir deuten:
Hörst du das Glöcklein läuten
Durch die duftige Sommernacht?
Geliebte, nun laß uns träumen,
Bevor der Tag erwacht.

Ich will dir's künden laut,
Wie dir mein Herz ergeben,
Dich, meiner Seele Braut,
Will ich umschlingen mit Beben,
Laß Wort und Kuß uns tauschen:
Hörst du die Quellen rauschen
Durch die duftige Sommernacht?
O komm, laß uns lieben und leben,
Bevor der Tag erwacht.

3.
Es schweigt die Nacht, die Sterne schreiten
Mit goldnem Fuß auf blauer Bahn,
Des Flieders Duft durchhaucht die Weiten,
Und kühle Lüfte fächelnd nahn,
Der stillen Wälder Rauschen
Lockt süß zum Liebetauschen,
Das tiefe Thal entlang
Schallt laut der Nacht'gall Sang:
's ist Zeit, 's ist Zeit,
Was lieben will, sei jetzt bereit.

Nun klingt und singt die Welt, die weite,
Drum nah' auch ich nun deinem Haus,
Die Laute trag' ich an der Seite,
Mein Lied tönt in die Nacht hinaus:
O komm herab zu lauschen
Der Ströme fernem Rauschen,
Das tiefe Thal entlang
Schallt laut der Nacht'gall Sang:
's ist Zeit, 's ist Zeit,
Was lieben will, sei jetzt bereit.

O komm! Laß Eines mit dem Andern
Uns still in seligem Verein
Durch schattig-grüne Dämmrung wandern
Bei Nachtgesang und Sternenschein;
Wo fern die Wälder rauschen,
Da woll'n wir Liebe tauschen,
Indes das Thal entlang
Hinwogt der Nacht'gall Sang:
's ist Zeit, 's ist Zeit,
Was lieben will, sei jetzt bereit.

Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890

Collection: 
1890

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