Ich sah dich lang' nicht, aber es steigt dein Bild
Gar oft im Geist mir leuchtend empor, und oft
Spielt schwelgend Phantasie um deines
Leibes vollendete, reiche Formen.
Und ewig weckt erneuete Sehnsucht mir
Dein Angedenken: brünstigen Dranges küßt
Mein Mund die Luft oft, doch es wird ihn
Nimmer der deine begegnend grüßen,
Der deine, ach, der stummen Verlangens voll
Sich wölbend brannte, anderem Lippenpaar
Vertraut gesellt vielsüßen Tausches
Seliggenießendes Spiel zu üben.
Es schwamm dein Auge schmachtend in feuchtem Glanz,
Wie Tizian es malt, nach entbrannter Lust,
Nach ichvergessner, opfersel'ger
Liebe verzehrendes Trachten kündend.
Von deinem Arm umfangen, die weiße Brust
Mit glühnden Lippen pressend, berauschten Sinns
Der weichen Glieder üpp'ge Pracht mit
Trunkenem Finger entzückt empfindend:
So hätt' ich Glück wohl, dünkt mich, gefunden noch,
Das nun mich flieht: ja, leidigste Schickung ist's,
Daß mir dein Bild entwich, denn nirgends
Lacht mir noch fürder des Friedens Hoffnung.
Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890