Ich wußt' es längst: was immer sich liebt, nicht heut

Ich wußt' es längst: was immer sich liebt, nicht heut,
Nicht gestern fand sich's; Ewig-Verwandtes nur
Grüßt sich aufs neu im Liebesbund und
Feiert beseligtes Wiederfinden.

Vereint von Anfang spielten die Seelen einst
An weltentrückten seligen Küsten, bis
Ein grimmer Zwang die eng-verschlungnen
Scheidend verwob in der Dinge Hader.

Wenn nun sie neu sich finden, o Götterlust!
Es sagt der Blick: "Wo säumtest du gar so lang'?
Indes ich, ach, jahrtausendlang dich
Ewig vergebens im Weltall suchte."

Und glückberauscht erneu'n sie den alten Bund:
"Mein andres Ich!" so flüstert es innig-traut,
"Du liebe Hälfte mein!" und sehnend
Streben sie wieder zur alten Einheit.

Mit Inbrunst drängt sich Eins an des Andern Brust,
Es geht von Aug' zu Augen der Liebe Strom,
Zum Lippenrand aufsteigend fließet
Seele mit Seele im Kuß zusammen.

Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890

Collection: 
1890

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