Laß, Himmel, diesen Engel mir

Die Blumen sind herabgesunken,
Vom heißen Kuß der Sonne matt;
Und hast auch du dich müd getrunken,
Sag, schöne Freundin, bist du satt?

Nein, laß uns nimmermehr erwachen
Aus dieses Kusses Ewigkeit,
Der hat die Blumen sterben machen,
Der sie gemahnet an die Zeit.

Reich diesen Mund mir ewig wieder,
So weich an meine Brust gelegt,
Du Haupt, das solche Augenlider
Ob solchem Auge niederschlägt.

Ich hatte nie das Weib empfunden
Wie ich es angeschaut in dir,
Ich hab' es nie seitdem gefunden,
Laß, Himmel, diesen Engel mir.

aus: Neue Gedichte von J. G. Fischer
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung
1865

Collection: 
1883

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