Ein Gott auf Erden

Des Herzens Sehnen war erreicht,
Du lagst in meinen Armen geschlossen,
Und Liebe, der kein Lieben gleicht,
Hab' ich an deiner Brust genossen;
"Wir sind allein auf dieser Welt!"
Rief meine Seele froh vermessen,
"Denn Erd' und Himmel kann vergessen
Der Mann, der dich im Arme hält.

Wie leis', wie stille ist's umher!
Und keine Seele kann uns lauschen,
Ich höre wie ein süßes Meer
Die Säume deines Kleides rauschen;
Im weiten Garten ich und du!
Und vor den armen Menschen allen,
Die ungeliebt vorüber wallen,
Schließt er die sichern Thore zu.

O traute, sel'ge Blätternacht,
Mit deinen dämmerlichen Hallen!
Hier darf der Liebe ganze Macht
Aus voller Seele überwallen;
Wie bist du, liebes Angesicht,
Von Küssen, die ich hier genossen,
So abendröthlich übergossen
Mit holdem, träumerischem Licht!

Sieh, wie ihr hohes Wipfelpaar
Mit freudig einverstandnem Schweigen
Zwei Bäume dort so voll, so klar
Im Winde hin und wieder neigen!
So willig neigt sich unsre Brust
In der Umarmung sel'gem Schwanken
Der Liebe einzigem Gedanken,
Der Liebe grenzenloser Lust.

Wie glüht der Rosen volle Last,
So tief am Strauch herabgesunken!
Als hätten sie vor Wonne fast
Ihr jubelnd Haupt zu schwer getrunken;
Heil dir, du Blumenkönigin!
Auch dir muß überschwenglich Leben
Die weichgeschaffne Brust durchbeben,
Wo ich so froh, so selig bin.

Wie einen Träumer in die Flut
Das Bild des Himmels hält gezogen,
So tief zu deines Herzens Glut
Halt' ich, o Kind, mein Haupt gebogen! -
Und wo ein Gott für Himmelslust
Das süßre Menschenglück will tauschen,
Unsterblich muß er sich berauschen,
Du Erdenkind, an deiner Brust."

aus: Gedichte von J. G. Fischer
Dritte vermehrte und aus verschiedenen Sammlungen
vervollständigte Auflage
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1883

Collection: 
1883

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