Der Liebesbrief

Der Bote kommt - o süße Schrift,
Die, Liebster, du mir schriebst!
Laß sehn dein ungeduldig Kind,
Wie treu du es noch liebst.

Du zitterst, Herz? o zittre nur
Und hüpf' in sel'gem Lauf;
Es zittert ja die Erde auch,
Thut sich der Himmel auf.

Die Welt weiß nicht, was er mir schrieb;
Wie arm die Menschen sind!
Doch was kein Mensch auf Erden weiß,
Weiß, Einziger, dein Kind,

Kann deiner Worte Glut und Glanz
Vor Freuden kaum verstehn,
Und möcht' in ihrer Lieblichkeit
Vor Wonne fast vergehn.

aus: Gedichte von J. G. Fischer
Dritte vermehrte und aus verschiedenen Sammlungen
vervollständigte Auflage
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1883

Collection: 
1883

More from Poet

  • Gründonnerstag im Abendschein
    Da spielten wir am Kirchenrain,
    Wie war's im Dorfe still!
    Wir spürten aus des Rasens Duft
    Des Festes Geist und aus der Luft,
    Das morgen kommen will.
    Die goldne Abendröthe klang,...

  • Des Herzens Sehnen war erreicht,
    Du lagst in meinen Armen geschlossen,
    Und Liebe, der kein Lieben gleicht,
    Hab' ich an deiner Brust genossen;
    "Wir sind allein auf dieser Welt!"
    Rief meine Seele froh vermessen,
    "Denn...

  • Kaum auf die Stirne küßt' ich dich
    Und war erschrocken fast,
    Als du wie eine Zuflucht mich
    So heiß umfangen hast,

    Als fiebernd immer voller mir
    Am Hals dein Schluchzen quoll,
    Und deine Pulse sich gejagt,...

  • Im frühsten Lenze hat sie mich
    Geküßt bei Tagesneige;
    Es stahl ein Abendlüftchen sich
    Durch zitternde Pappelzweige.

    O Lüftlein, das so leis genaht,
    Du wardst ein Stürmen und Sausen,
    Und ihrer Lippe stille That...

  • Der Bote kommt - o süße Schrift,
    Die, Liebster, du mir schriebst!
    Laß sehn dein ungeduldig Kind,
    Wie treu du es noch liebst.

    Du zitterst, Herz? o zittre nur
    Und hüpf' in sel'gem Lauf;
    Es zittert ja die Erde auch,...