Glück und Wehe

Gestern, vom Walde
Zwei Schritte kaum,
Träumte die Freundin
Des Frühlings Traum;

Heute, vom Walde
Zwei Schritte nur,
Blüht er selber
Auf ihrer Spur,

Leuchtet und duftet
Wie nirgend so;
Aber die Freundin
Wo blieb sie, wo?

Deine Blüten,
Du seliges Thal,
Herzt man sie nicht
Mit einemmal?

Tausende dringen
Zu Sinnen mir;
Aber die Seele
Weint nach ihr.

Göttlicher Frühling,
Ersehnter du,
Bist du das Glück,
Und das Weh dazu?

aus: Gedichte von J. G. Fischer
Dritte vermehrte und aus verschiedenen Sammlungen
vervollständigte Auflage
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1883 (S. 12)

Collection: 
1883

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