Der Frühling

Der Götterknabe naht auf blühenden Schwingen;
In seinen Anblick ist die Welt versunken;
Aus Aetherblau, aus Blumen und aus Funken
Der neuen Sonne webt er Zauberschlingen.

Bald wird sein Zauber jedes Herz durchdringen,
Bald feiert ihn die Erde wonnetrunken;
Doch mag er auch mit tausend Siegen prunken,
Der Liebe Kunst kann seinen Stolz bezwingen.

Die Liebe kann mit stärkerm Zauber binden;
Aus sanften Blicken, sehnendem Verlangen,
Weiß sie das allerstärkste Band zu winden.

Sie hält dich fest und fester; es verschwinden
Dem Aug' der Sonne und der Blumen Prangen;
Ein schön'rer Frühling hält dein Herz umfangen.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner

Collection: 
1893

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