Es kam die Fluth, als mir dein Bildniß
Im Herzen aufgegangen war,
Wie plötzlich in der Wasser Wildniß
Der Mond sich spiegelt wunderbar.
Hochwasser war, als die Gedanken
An dich stets höher mich gefaßt,
Bis ich in selig-trunk'nem Schwanken
Erlag der ungewöhnten Last.
Die Ebbe kommt, nun unerweichbar
Das Schicksal mich von dannen treibt,
Und ach! stets weniger erreichbar
Der Mond, dein Bild, dahintenbleibt.
Tiefwasser ist, wann dich erbleichend
Mein Angesicht zum Letzten sieht,
Daß alle Liebe, schmerzlich weichend,
Hinab in's tiefste Herz mir flieht.
Gehst du nun später am Gestade
Frühmorgens den gewohnten Lauf,
So lies auf deinem weichen Pfade,
Was dir die Fluth zurück ließ, auf.
Sind Muscheln nur und glatte Steine
Und Perlen, die wie Thränen sehn:
Auf allen muß Ein Bild, das deine,
Ein Name, dein geliebter, stehn!
Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877