Der Sünden Sünde

Wenn wir einmal der Sünden Sünde fänden
Und trügen sie herbei von Haus zu Haus,
Wir würden fremd ihr oft ins Auge blicken
Und staunend fragen: "Also siehst du aus?"
Mißtönend würde ihre Stimme klingen,
Auch da, wo Gutes unter uns geschah,
Und auch an Stätten würden wir sie finden,
Die unser Auge einst als Tempel sah.

Und wenn wir dann der Sünde Sünder bänden
Und richteten für sie den Feuerstoß —
Die Funken würden bis zum Himmel sprühen
Und eine Flamme würd' es riesengroß.
Und wenn die Asche still herniedersänke,
Es stände eine Schar, erstarrt in Graun,
Sie würde über tausend leere Häuser
Und ungezählte Leichenstätten schaun.

Dann aber würde sie die Hände falten
Und tiefer Christi heilig Wort verstehn,
Und wo sich Auge noch in Auge senkte,
Nur Liebesmacht und Liebeswerben sehn.
Doch ehe sie den Tempel noch errichtet,
Dort Gottes Wort zu künden klar und rein,
Die Erde stürzte über ihr zusammen
Und würde nicht mehr Menschenerde sein.

Collection: 
1920

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