Die Blätterspitzen im dunkeln Hain
Zerbrechen der Knospe Gefängnis,
Bei der Frühlingssonne zitterndem Schein
Wird ihnen zu bang in der Engnis.
Die schützenden Decken, sie sprengen sie los,
Erschließen den zarten innersten Schoß
Den Stimmen des Lenzes, der Liebe!
Die Schwalben kommen vom südlichen Meer,
Die frohen, willkommenen Gäste,
Der Storch stolziert auf den Dächern einher
Und sucht sich ein Plätzchen zum Neste,
Die Finken locken und schlagen vor Lust,
Als sollte zerspringen die schmetternde Brust
Bei den Stimmen des Lenzes, der Liebe!
Das Leben drängt sich hervor und quillt
In tausendfarbigen Blüten -
Was willst Du die Sehnsucht, die nimmer sich stillt,
Im Busen verschlossen noch hüten?
Hervor, was im Herzen Dir schlummert so bang,
Dann wird auch die Klage zum Jubelgesang
In den Stimmen des Lenzes, der Liebe!
aus: Deutsche Lyriker seit 1850
Mit einer litterar-historischen Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen
Herausgegeben von Dr. Emil Kneschke
Siebente Auflage Leipzig Verlag von Th. Knaur 1887