Das Lied der Geliebten

Da tönt ein liebliches Singen
Tief aus dem Thal hervor,
Dem alten Wanderer dringen
Die Töne so traut an's Ohr.

Er sinkt auf die Moosbank nieder,
Er lächelt still und lauscht,
Vom Klange geliebter Lieder
Aus alter Zeit berauscht:

"Aus schönem, reizendem Munde,
Da hört ich dies Lied einmal,
Es war mir willkommene Kunde,
Sie wartete meiner im Thal.

Da flog ich, ein rüst'ger Geselle,
Hinunter durch Schlucht und Gestein.
Die Klänge, sie luden so helle
Zum Liebchen den Glücklichen ein.

Da hielt sie mich innig umfangen,
Mein Haupt an der himmlischen Brust
Küßte sie Lippen und Wangen
In stiller, in seliger Lust.

Und spät, als die Sonne gesunken,
Als kühlender Thau sich ergoß,
Erstiegen wir wonnetrunken
Das festlich erleuchtete Schloß.

Die Eltern, Geschwister, Verwandten,
Sie kamen und jubelten laut,
Rothsprühende Fackeln entbrannten
Zum Gruß dem Geliebten, der Braut.

Wir riefen den künftigen Zeiten
Entgegen den freudigen Gruß,
Sie zeigten in fernesten Weiten
Nur Liebe, nur Lebensgenuß."

Da rauscht's an des Wanderers Lager
Vorüber in eiligem Lauf,
In's Horn stößt lustig der Schwager,
Der Alte steht langsam auf:

"Das Lied ist lange verklungen,
Verweht das erträumte Glück,
Tod ist, die es einst mir gesungen,
Was weil' ich und denke zurück?"

Aus: Gedichte von Theodor Apel
Zweite vermehrte Auflage
Leipzig Verlag von Wilhelm Jurany 1848

Collection: 
1848

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