Liebe

Das ist ein freudiges Verlangen
Nach Lieb' und ihrer Seligkeit!
Das ist ein Blühen und ein Prangen
Wo Liebe sich der Liebe weiht!
Wie wenn des Meeres tausend Wellen
Vom Sonnenglanze licht berührt
Dem Himmel hoch entgegenschwellen,
Ist's, wenn das Herz ein Herze kürt!

Wie tausend, tausend Düfte wallen,
Wenn Lenz der Erde sich vermählt,
Wie tausend, tausend Stimmen schallen,
Wenn Lenz ihr seine Lieb' erzählt,
So wallen, wogen die Gefühle,
So tönen Worte, leis' und laut
Auf schwellend weichem Blumenpfühle,
Im Kämmerlein so lieb und traut! -

Und wie im Herbst die Blätter sinken,
So sänke diese Liebe auch?
Und wie im Winter Flocken winken,
So stürbe sie im frost'gen Hauch? -
Nein, nein! Dies freudige Verlangen
Nach Lieb' und ihrer Seligkeit,
Dies Wallen, Tönen, Blühen, Prangen,
Was ist's, wenn nicht die Ewigkeit?

aus: Der neuhochdeutsche Parnaß 1740 bis 1860
Eine Grundlage zum besseren Verständnisse
unserer Litteraturgeschichte
in Biographien, Charakteristiken und Beispielen
unserer vorzüglichsten Dichter
von Johannes Minckwitz
Leipzig 1861

Collection: 
1740

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