Lieben? Ich sollte sie lieben? - Ach nein!
Sicher! gewiß nicht! Wie könnte das sein?
Fühl' ich doch niemals, was Liebe sie nennen,
Würde doch selbst die Gefühle erkennen;
Bin ich nicht ruhig, wenn vor mir sie steht,
Lächelnd und scherzend zur Seite mir geht?
Zwar, wenn allein ich und ferne ihr bin,
Zieh'n die Gedanken wie Schwalben dahin,
Suchen das Plätzchen, wo könnte sie weilen,
Möchten sie finden, erreichen, ereilen, -
Freilich! wer ist denn auch gerne allein?
Nur Misanthropen und Herzen von Stein!
Manchmal, wenn hebt sie den strahlenden Blick,
Ist mir, als kehr' er vom Himmel zurück,
Wisse von Engeln und Licht zu erzählen,
Erde und Seligkeit eng zu vermählen, -
Doch, wie natürlich! Die Augen sind blau,
Farbe des Himmels! was thut da die Frau?
Wenn sie so leise, mit schwebendem Fuß,
Rühret die Erde: "Den Blumen zum Gruß,"
Denk' ich dann immer, "nur setzt sie ihn nieder,
Freudiger heben die Kelche sich wieder,
Schöner ersteh'n sie" - kann anders es sein?
Ist doch das zierliche Füßchen so klein!
Rührt sie die Saiten mit wogender Hand,
Hält sie mir Augen und Sinne gebannt,
Lauschend ersteig' ich auf Leiter der Töne
Jegliche Stufe harmonischer Schöne,
Alle sind lieblich und schwellend und weich, -
Wunder! sie sind ja den Händen nur gleich!
Wenn ich sie sehe, die schlanke Gestalt,
Wie sie mit Anmuth entgegen mir wallt,
Möcht' ich sie fassen, umschlingen und halten,
Worte und Blicke zu Küssen gestalten, -
Halt da? Wenn dennoch? - - Wie lächerlich! Nein!
Liebe? - - Sie lieben? Wie könnte das sein?
aus: Deutschlands Dichterinnen
Von H. Kletke
Vierte vermehrte Auflage
Berlin o. J. [1860]