Wie mahnst du mich, und ohne Worte,
Du kleines Dorf, so wunderbar
An einst, da ich an diesem Orte
Zum erstenmale glücklich war;
Rufst du in hundert kleinen Zügen
Mir deshalb nur ein Bild zurück,
Um meine Sehnsucht zu betrügen
Durch der Erinn'rung herbes Glück?
Hier kam sie lächelnd mir entgegen;
Dort war es, wo ich mit ihr ging,
Wo in den engen Gartenwegen
Ihr Arm in meinem bebend hing;
Und dort, wo wir im Schatten lagen,
Wo sie aus Epheu Kränze wand,
Wo ich, das Schicksal zu befragen,
Grashalme band in ihrer Hand.
Und was an seiner alten Stelle
Noch fest und unverändert steht,
Das Bauernhaus, im Hof die Quelle,
Der Apfelbaum, das Dahlienbeet:
Das mahnt mit stummberedtem Munde
Mich alles nur an sie, an sie,
Die diesem Raum und jener Stunde
Den Zauber ihres Wesens lieh.
Sie ist dahin! Von ihrer Nähe
Blieb nirgends eine leise Spur!
Wohin ich blicke, wo ich spähe,
Ich finde fremde Zeugen nur:
Im Sand sind ihre leichten Tritte
Wie auf dem Rasen längst verwischt,
Und durch der neuen Blumen Mitte
Geht nicht ihr Hauch mehr, süßgemischt.
Verweht, verwelkt! Denn keine Treue
Wohnt in vergeßlicher Natur:
Sie dringt und treibt nur auf das Neue,
Das Alte schwindet ohne Spur!
Nur in dem engen Menschenherzen,
In seiner Liebe wachem Traum
Ist so für Freuden wie für Schmerzen
Stets gleiche Dauer, gleicher Raum!
Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877