Ein Gleichnis von der Liebe

Vorbei am letzten Haus und erstarrten Wiesen,
wer weiß es, weiß, wie weit mich führte mein Schritt!
Wo die sinkende Sonne noch Funken schlug aus Gewässern
und der Schrei verstoßner Vögel den Abend durchschnitt.

Noch drang der Herbst mit duftendem Atem ins Herz
und das bunte Kleid lag lachend um seine anmutige Gestalt.
Mich aber grüßte das unergründlich warnende Lied
einer späten Schwalbe über dem funkelnden Wald.

"Willst du wieder aufwärts steigen,
lerne dich in Demut neigen!
willst du in die Tiefen dringen,
mußt du dich zur Höhe schwingen.

Über Meer und Sterne flog ich
und durch Wald und Stürme zog ich
meine lustbeschwingten Kreise,
Vorbereitung großer Reise."

Und das Lied im Herzen schlug ich
Wege in verschlungnen Zweigen,
sah des Mittags selige Wunder
selig auf und nieder steigen.

Doch in meinem Herzen brannten
heißer die verlornen Stunden,
ach, da war kein Weg gefunden
in die Nacht des Unbekannten.

Da kam Gott selbst:

An der blauen Ferne fiel es nieder,
tanzend ein helles Gelb im Wirbel des hellen Herbstes,
taumelnd ein Paar Zitronenfalter vom Himmel;
lockte sich fliehend im Netz seiner froher Kreise
über den letzten Blüten - dann lag es zitternd
am Stamm einer Buche, lag zitternd im Liebestaumel
eins geworden - und wußte nichts vom Leben.

Gott selbst, Gott selbst, der Atem der Welt stand still
Und Glück und Schicksal rätselhaft beschlossen
in diesem bunten Bild, drang in mein Herz.
O ungeahnter Anmut Wunder! Sieh!
Das Leben kam! Getrennt und dennoch eins
erhebt sich's aus dem Schatten in das Licht -
Erst leicht - dann steil gleich einem Pfeil der Lust
verschwand's in den azurnen Wirbel der Lüfte.
Über Wald und Zeit:
Das Rätsel eines Tages und aller Ewigkeit.

Collection: 
1961

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