Der erste Brief

Sehnsuchtsvoll, wie im April,
Wenn die Lerche steigt
Und so gränzenlos, so still
Sich das Feld uns zeigt;

Lebensathem uns begrüßt
Sanft die Brust bedrängt
Und die Sehnsucht doch versüßt,
Die uns noch umzwängt:

Nur ein linder Regen fehlt,
Mild ist schon die Luft,
Daß die Wolk' ihn nur verhehlt,
Sagt der warme Duft;

Und das Herz trinkt schon das Kühl,
Freut der Dämmrung sich,
Schwelgt in lieblichem Gefühl
Dem kein andres glich;

Also steh' ich, warte still,
Ob sie mir nicht schreibt,
Ob der Brief nicht kommen will,
Was ihn hintertreibt.

Doch die Sehnsucht füllt mich so,
Macht mich schon so reich,
Daß ich glaub', ich lebte froh
Käm' er auch nicht gleich.

Lebte froh in Hoffnung hin
Was der Brief mir bringt,
Fühlte schon wie reich ich bin,
Wie mich Rührung dringt.

Alle Sprossen werden grün
Wenn der Regen naht;
Und ich fühl' ein gleiches Sprühn
Auf des Herzens Saat.

Linde Wärme fühl' ich hier,
Alles wühlt sie auf,
O ein einzig Wort von dir
Trägt mich himmelauf!

Collection: 
1905

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