Der Augenblick

Immer seh' ich Sie, wie eigen,
Wie so hold Sie vor mir stund,
Sich voll Anmut mir verneigen;
Gar so lieblich sprach Ihr Mund.

Kaum vernahm mein Ohr bescheiden
Was die Lippe lieblich sprach,
Auge wollt' an Ihr sich weiden
Und so zog das Herz ihm nach.

Und ich mußte doppelt schweigen
Was ich auch dabey empfand:
Denn es waren zu viel Zeugen,
Aller Blick' auf uns gewandt.

Ach wie gern wär' ich zu Füßen
Ihr gesunken, wonnentzückt:
Ihres Kleides Saum zu küssen
Hätte mich zum Gott beglückt!

Collection: 
1816

More from Poet

  • Was deuten diese magischen Gestalten,
    So glühnde Rosen auf des Winters Auen?
    Wird nicht ihr Brand den zarten Schnee erthauen?
    Wird nicht vom Schnee die Purpurglut erkalten? -

    Sieh, sieh! Beweglich lassen sie sich schauen!
    Ein...

  • Du gehst - und ach! der Lenz, der nun begonnen,
    Dein schönes Ebenbild, wird mit Dir scheiden! -
    Mit eins ist Lust und Leben mir zerronnen:
    Denn mit Dir ziehen alle meine Freuden!

    Zur fernen Flur, die ewig drum zu neiden,
    ...

  • Fühlst Du nun bald auf väterlichen Auen
    Der Berge Frühlings-Lüftchen Dich umfließen,
    Wie sehnsuchtsvoll die Wolken auf Dich schauen
    Und freundlich nickend Blum' und Zweig begrüßen;

    Siehst Du am Fels, im heimlich-süßen Grauen
    ...

  • Nicht in vergangne, nicht in künftge Ferne
    Zieht Sehnsucht Dich und hoffendes Verlangen;
    Nur an der Gegenwart liebst Du zu hangen
    Und greifst das Leben so im innern Kerne.

    O diesem Beyspiel folgt' ich nur zu gerne
    Und hielte...

  • Kennst Du wohl jenen Stein, den wunderbaren,
    Der aus der Sonne saugt ein heimlich Leben? -
    Doch läßt sein stilles liebevolles Streben
    Ihr allgemeiner Tag uns nicht gewahren;

    Nur wenn ihn Nacht und Finsterniß umweben,
    Kann das...