Wunder der Liebe

Dämmerspät ist sie gekommen.
Oed und traurig war das Stübchen,
Und sie saß gesenkter Wimpern;
Ich doch flehte und beschwor sie:
"Schlag sie auf, die Rätselaugen,
Lasse mich die Sterne schauen,
Wie der Nordstern dem Piloten
Ziel und Richte meinem Leben."
Zögernd tat sie's; stilles Leuchten
Floß durchs dunkelnde Gemach.

Da die Liebste aber immer
Ernst in Schweigen noch verharrte,
Bat ich wieder: "Liebe Seele,
Sprich ein Wort, ein einzig Wort!
Nur ein armes Liebeswörtlein,
Daß mein Herze sich erlabe."
"Nimmer tu' ich's, Arger, Holder!"
Kam's zurück, und Rosenduften
Floß geheim durch meine Brust.

Endlich hub sie sich, zu gehen;
Ich doch, unersättlich, flehte:
"Wunder viel hast Du gewirkt:
Brachtest Licht der dunkeln Seele,
Lenz dem winteröden Herzen -
Still und bang ist mir zu Mut.
Fände nun Dein Mund den meinen,
Jedes Trübsal, glaub mir's, wiche,
Und ich sänge leidbefreit".
Zögernd stand sie nah der Schwelle -
Plötzlich, im Entschweben, wandte
Sie das Köpfchen, ihre Lippen
Rührten flammend an mein Haupt -
Und nun treiben tausend Lieder,
Liebeslieder drin ihr Spiel.

Collection: 
1908

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