Vorabend

Sie hatten sich lieb, kein Mensch weiß wie lieb,
Und mußten sich trennen. - - - - - - - - - - - - - -

In der Fremde sitzt sie allein vorm Haus,
Mocht's daheim nicht länger ertragen,
Und sieht in die herbstkühle Welt hinaus
In stillem, totstillem Entsagen.

Da kommt durch die Luft ein tiefer Ton,
Als begänn die Sonne zu singen,
Die lautlosen Wälder klingen davon,
Der Magd will das Herz zerspringen.

Das ist der Pfarrglocke mahnender Mund,
Marientag ist morgen,
Das tut sie allen Frommen kund
Die sich im Herrn geborgen.

Und jetzo tönt's mit hellem Klang
Aus allen Dörfern drüben,
Es ist es hehrer Weihgesang,
Kein Turm ist stumm geblieben.

Es singt und klingt der eherne Chor,
Er singt und klingt so eigen,
Er trägt die müde Welt empor,
Will ihr den Sonntag zeigen.

Die Magd erhebt sich von der Bank
In tränenlosem Weinen,
Sie schleicht aufs Feld sich, müd und wank,
Ein Bild tät ihr erscheinen.

Wie heute war's – es ist ein Jahr -
Die Luft war voll Frohlocken,
Da hoben weich und wunderbar
Zu singen an die Glocken.

An seinem Arme schritt sie still,
Und keines sprach zum andern,
Sie hatten zu sagen sich allzuviel,
Drum taten sie lieber wandern.

Durch Wälder dicht und golden braun,
Durch Täler gingen sie hin,
Auf hohem Berg in seligem Schau'n
Fand sie das Abendglüh'n.

Auch damals war Marientag
Als sie von ihm geschieden,
Und morgen ist Marientag,
O Herr, gib mir den Frieden!

Es ruft ihr wunderkrankes Herz
Zum Himmel um Erhören,
Den Wald durchklinget jubelnd Erz,
Wie Sang aus Engelchören.

Da schreit sie auf in weher Lust,
Was herber Stolz erklügelt,
Zerschmolzen ist's in ihrer Brust,
Sie eilt dahin beflügelt. - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Sie kam zu ihm mit off'nem Haar
Und Wangen vom Wege warmen,
Ihre Augen leuchteten vollmondklar,
Sie starb in seinen Armen.

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910

Collection: 
1910

More from Poet

  •  
    Michal, Wunderschöne,
    Laß mich seufzen nach dir,
    Laß meinen Seufzer entschleiern
    Dich, du Wunderschöne.

    Tochter des kranken Löwen,
    Noch sah ich nicht dein Antlitz,
    Noch vernahm ich nicht...

  •  
    Meine Augen wie zwei stille Jungfraun,
    die vorm Tabernakel knien und beten,
    spenden heißer Liebe stumme Grüße,
    dir, dem Gottesflammenüberwehten.

    Bleib auf deiner gletscherkühlen Höhe,
    wo die jungen...

  • "Mein ist eine Zither, dein ein blaues Band,
    Komm, laß uns werden ein Paar!"
    Sie folgt ihm willig ins Märchenland,
    Und bietet den Mund ihm dar.

    Sie küssen sich hungrig, sie küssen sich satt,
    Die Vöglein lauschen sacht,...

  • In stiller Nacht, im Spiegel eines Traumes,
    Sah'n ihre Seelen sich zum erstenmal.
    Dann, als das Schicksal sie zusammenführte,
    Da glich ihr Finden einem Wiedersehen.

    Sie liebte es, in leiser Sternennacht
    Entleg'ner Pfade...

  • Heut war dein Todestag. Ich konnt nicht beten,
    ich konnt nicht weinen; müde schwieg mein Herz.
    Zur Nachtzeit war ich in den Wald getreten;
    starr lag er da, wie eine Welt von Erz.

    Schläfst du denn, Leben? Will sich gar nichts regen?...