In stiller Nacht, im Spiegel eines Traumes,
Sah'n ihre Seelen sich zum erstenmal.
Dann, als das Schicksal sie zusammenführte,
Da glich ihr Finden einem Wiedersehen.
Sie liebte es, in leiser Sternennacht
Entleg'ner Pfade Schweigen aufzusuchen,
Im Schoß der schönen Zauberin Einsamkeit
Das Haupt zu betten, rätselhafter Tale,
Geheimen Zwiegespräch zu lauschen.
Einstmals
Begegnete auf mondbeglänzten Wassers
Ihr Boot dem seinen. Neidisch sah sie es
Hingleiten lautlos durch die weichen Fluten,
Nicht mehr allein gehörten ihr die Sterne,
Der Nacht geheime Wunder sah ein Zweiter.
"Ich lieb' was du liebst", gab er stolz zurück
Auf ihre Frage.
"Deshalb liebst du mich." - -
Er schwieg. Sie legte leise ihren Mund
Auf seinen.
Da entrang ein Schrei des Glückes
Sich seiner Brust. - - - - - - - - - - - - - -
Kein Heute und kein Morgen kennen, fremd sein
Für alle, nur für eine Seele nicht,
Kein Sparen kennen, Gott die Fülle rauben,
Als Ich im Du vergeh'n, das ist die Liebe.
Am Abend eines gold'nen Junitages
Verwehte Blüten aus den Locken schüttelnd,
Rief jene Frau der Wonne sich bewußt,
Die sie ihm schenkte:
"Wie, wenn plötzlich Sturm
Vom Himmel stürzte und mich dir entzög,
Vermöchtest du zu leben?" - - -
Und er lächelnd:
"Welch' wunderliche Frage, laß mich sinnen,
Ich glaube: nein!"
"Du glaubst nur?"
"Aber Kind!"
Die Nachtigallen schwiegen bang, die Frau
Sah ihn beschwörend an.
"Ich glaube: nein!"
"Vermöchtest du zu leben ohne mich?" - -
Darauf ein langer, sie liebkosender Blick
Voll wehen Vorwurfs: "Ja!"
"Ja, ich könnt's!" - - -
Der Mond verbirgt sich hinter Wolkenhügeln,
S'ist kühl geworden, kühl und still auf einmal.
Mit müden Schritten geht die Frau von dannen,
Doch plötzlich hält sie, läuft zurück und wirft sich
An seine Brust:
"Wer ist's, der mich des Szepters
Berauben will, wen liebst du mehr als mich?"
"Die Arbeit!" - - -
Schnee. Im leergeword'nen Garten
Auf nacktes Astwerk stürzt sich müd' der Winter
Und blickt ins Land hinaus. Mit steifen Flügeln
Bewegt sich lautlos hie und da ein Vöglein.
Es schweigt die Liebe.
O du stolzgekrönte
Du demantharte, flammenzungige Liebe,
Du trotzige Streiterin, wirf endlich ab
Den schwerterblanken Harnisch deines Hochmuts,
Begehre nicht in heißem Ungestüm
Die ganze Lichtwelt eines Menschengeistes
Für dich! Ein Platz, ein kleiner Platz genügt
Im Herzen deines Liebsten. - - -
Sie schüttelte die zorngesträubten Locken.
"Nur Königin oder nichts."
Sie floh verblutend.
Er schwieg in stolzem Trotz, er schwieg sich tot.
Von neuem kam der lange blaue Sommer.
Von neuem gaukelten im Gold der Lüfte
Entzückte Lerchen, bebten junge Blumen
Im Arm des Windes.
Aber ihre Kähne
Begegneten einander nimmermehr
Auf silbernen Gewässern. - - - -
Und von neuem
Fiel eisiger Reif vom grauen Himmel nieder,
Verwischte Frost der Blumen letzes Lächeln.
Mit wunden Füßen zog die Frau dahin,
Von Land zu Land, von Stadt zu Stadt.
Einst sank sie
An seinem Grabe nieder.
"Dornenpfade
Will ich, die Stolzeste, in Demut gehen.
Nur eine Gnade sollst du Hehrer schenken
Der Büßerin: In meinem Todesstreit
O wolle dich auf gold'nem Fittig senken
Herab zu mir, aus Deiner Ewigkeit.
Zu Füßen meines Lagers stehe dann,
Reich' mir den Kranz, den Kranz aus lichten Myrten,
So rufe aus des Lebens dunklen Bann
An deine Brust, die Seele der Verirrten." - -
Auf ihrem Wege sah sie viele Türen
Geöffnet, die hinüberführten, viele.
Sie aber wollte harren, bis ihr Gott
Mit mächtigem Finger auftat seines Reiches
Geheimnisvolles Morgentor.
Die Kraft,
Die – eine unsichtbare Feuersäule -
Natur in ihr entfacht, verlöschte endlich.
In fremden Land vor einer nieder'n Hütte
Brach leiderschöpft die müde Frau zusammen.
Mitleid gab ihr ein Stübchen, denn der Tod
Begann mit ungeduldigen Händen schon
An ihrem Kleid zu zerren.
Langsam glitten
Der Nacht geheimnisvolle Schwingen nieder,
Die Töne und die Menschen schliefen ein,
Und Stille wuchs im Dunkel.
War's ein Windhauch,
Der über letzte Sommerblumen fuhr?
War's einer Menschenstimme schwaches Stammeln,
Das da im Dunkel hörbar kaum erklang?
"Nur eine Gnade sollst du Hehrer schenken
Der Büßerin: In meinem Todesstreit
O wolle dich auf gold'nem Fittig senken
Herab zu mir, aus Deiner Herrlichkeit.
Zu Häupten meines Lagers stehe dann,
Reich mir den Kranz, den Kranz aus lichten Myrten,
So rufe aus des Lebens dunklen Bann
An deine Brust, die Seele der Verirrten." - -
Da bersten wie zerspringend' Glas die Wände
Der engen Kammer und der Sternenhimmel
Die Freiheit Gottes, breitet golden sich
Der Sterbenden zu Häupten aus.
Ein Mann
Mit milden Zügen neigt sich zu ihr nieder.
"So fragelos und antwortunbedürftig,
Glückselig schon im Glauben, liebt die Liebe. -
Nun kennst du sie. Komm mit in meinen Frieden" - -
Und seine Lippen nehmen von den ihren
Die weiße Seele. - - - - - - - - - - - - - -
Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910