Sonne und Mond

Der aus den Liebesaugen sanft verweint
Auf mich heruntersieht und Friedenszeichen
Versöhnend in die wilde Seele scheint?

Bist du nicht eh'r, vom Himmel hoch gesendet,
Als Sonne meinem Horizont gegeben,
Die hellen Strahls mein blödes Auge blendet
Und doch die Brust erfüllt mit warmem Leben?

Verwechselt scheint mir aller Dinge Lage,
Seit mir dein Bildniß aufgegangen ist:
Du bist der Mond am klaren Sommertage,
Wie du der Winternächte Sonne bist.

Mein Thun und Treiben im profanen Lichte
Durchdringest du mit deinem Frieden ganz
Und tauchst die Nächte, flammende Gedichte,
In heißer Traumgesichte Gluth und Glanz.

Mond meiner Tage, meiner Nächte Sonne,
Hoch über mir geh deinen Strahlenlauf;
Es wogt zu dir mein Herz in Weh und Wonne,
Wie Fluth und Ebbe liebedurstig auf!

Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Siebenter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Erster Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877

Collection: 
1877

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