O weh

Jüngst stand ich neben Liese,
Und bat um einen Kuß,
Ich bat so rührend: Liese!
O gieb mir einen Kuß!

Und sieh das lose Mädchen!
Lief sie zum klaren Bach,
Und ich lief wie ein Rädchen,
Ich lief der Bösen nach.

Da sprach sie: "holder Knabe!
Da holder Knabe," sprach
Die Liese, "holder Knabe
Siehst Du, dort an dem Bach

Steht eine schöne Blume,
Die ich jetzt haben muß,
Und bringst Du mir die Blume,
Gleich kriegst Du einen Kuß!"

Da sprang ich hin und dachte:
Bald ist die Blume mein!
Ich pflückte sie und lachte,
Und - fiel in Bach hinein.

O weh! die schöne Blume
Entführt der Wellen Lauf,
Und schnell entschwamm die Blume,
Der Kuß saß oben drauf.
(Band 1 S. 6)
_____

Collection: 
1856

More from Poet

  • Amor sprach, mein Kinn erhebend:
    "Laß die Rose doch den Bienen,
    Daß sie, in den süßen Kelch sich
    Tief einwühlend, Honig suchen,
    Laß die Schmetterlinge naschen.
    Eine Blum' aus meinem Garten,
    Die auf Silberfüßen...

  • Bei den Flügelchen hatt' ich Amorn,
    Gleich dem Schmetterling, gefangen,
    Schloß in einen ehr'nen Käfig
    Ihn, der flattert' und sich sträubte!
    "Sieh, nun trag' ich dich nach Hause,
    Da ich endlich dich erhaschte!
    Wie ein...

  • Bacchus zog den Amor schmeichelnd
    Zu sich nieder, ließ ihn naschen
    Von dem süßesten Most, und bat ihn
    Um ein Weib voll Lieb' und Anmuth.
    Lange ließ der Knab' ihn bitten,
    Wand sich dann aus seinen Armen:
    "Ei doch, sieh...

  • Denkt euch, neulich fand ich Amorn
    Ganz unschuldig und ganz harmlos
    Unter Blumen fest entschlummert,
    Wie ein Käferchen die Flügel
    An den Rücken dicht geschlossen.
    Und ich schlich hinan und raubte
    Ihm den Bogen und den...

  • Heute sah ich Amorn schweben
    In der Luft, am lichten Tage,
    Um ihn eine Schaar von Träumen,
    In dem hellsten Sonnenglanze!
    Er durchflog die bunten Reihen,
    Als ihr König und Gebieter,
    Sprach mit diesem und mit jenem,...