O sage nicht, du hast mich nie geliebt

O sage nicht, du hast mich nie geliebt!
Dein Herz spricht anders und des Auges Scheue.
Wenn je ein Engel Täuschungen vergiebt,
Verschweigt er auch die Thränen stiller Reue.

In deinen Mienen streng, in deinem Stolz,
In deinem Zorne hab' ich es gelesen,
Daß deines Herzens Panzer längst zerschmolz,
Daß deine Seele dennoch mein gewesen.

Warum sonst ständst du heute, meinem Glück
Und meinem Herde grollend, fremd und ferne?
Du schaust in einst'ge Flammen starr zurück,
Ach, Flammen sind es längst enteilter Sterne!

O glaube nicht, die Liebe sei so blind;
Sie ist allwissend, selbst wenn sie betrogen,
Sie blickt in Tiefen, die verschlossen sind,
Und sieht versunkne Kronen in den Wogen.

O glaube nicht, die Liebe würde Haß!
Sie ist unsterblich, selbst wenn sie erschlagen.
Ihr lichter Schatten, leuchtend, mondesblaß,
Bleibt mir gesellt in diesen Erdentagen.

Auf lebenslang - auch dich noch lebenslang
Wird unerreichbar sie getreu begleiten,
Gleichwie ein Gruß, ein zaub'rischer Gesang
Von unverstandnen goldnen Jugendzeiten.

Collection: 
1882

More from Poet

  • Weißt du noch - in Maienmonden,
    Als wir gingen unter Birken?
    Heil'ges Schweigen war verbreitet
    In der knospenden Natur;
    Denn sie hatte still zu wirken
    In den Wäldern, auf der Flur.
    Tausend Wiesen an den Buchten,...

  • In der Kapelle war's. Beim Kerzenschein
    Die Messe klang. Die Fenster aus und ein
    Um hohe Säulen Schwalben zwitschernd flogen.
    Zwar sprach mein Mund zu dir im Liebesschwur,
    Beklommen nur, - doch in die Zukunft zogen
    Beflügelte...

  • Die Brunnen rauschen stille,
    Mein Herz, das schlägt dazu.
    Kein Nachtwind kühlet die Stirne,
    Kein Frieden ist süß wie du.
    Die Welt liegt nun in Träumen
    Von Liebe, von Lust und Leid;
    Doch meine Gedanken durchwandern...

  • Gute Nacht und gute Nacht!
    Und auch heut noch kein Geständniß.
    Warum scheuchte mir die Macht
    Deines Blicks ein tief Bekenntniß?
    Doch schon jetzt im Windeswehn
    Wachst vielleicht du auf zum Weinen,
    Möchtest nun...

  • An der Kirchthür bin ich vorbeigegangen,
    In den Linden schlief der Wind.
    Ach, was mach' ich diesen lieben langen
    Sonntag ohne dich, mein Kind?

    An der Kirchthür sah ich fernes Leuchten,
    Kerzen in der Altarpracht;
    ...