Der Gesang der Okeaniden

     Abendlich blasser wird es am Meere,
Und einsam, mit seiner einsamen Seele,
Sitzt dort ein Mann auf dem kahlen Strand,
Und schaut, todtkalten Blickes, hinauf
Nach der weiten, todtkalten Himmelswölbung,
Und schaut auf das weite, wogende Meer,
Und über das weite, wogende Meer,
Wie Lüftesegler, ziehn seine Seufzer,
Und kehren wieder, trübselig,
Und hatten verschlossen gefunden das Herz,
Worin sie ankern wollten –
Und er stöhnt so laut, daß die weißen Möven,
Aufgescheucht aus den sandigen Nestern,
Ihn heerdenweis’ umflattern,
Und er spricht zu ihnen die lachenden Worte:

      Schwarzbeinigte Vögel,
Mit weißen Flügeln Meer-überflatternde,
Mit krummen Schnäbeln Seewasser-saufende,
Und thranigtes Robbenfleisch-fressende,
Eu’r Leben ist bitter wie Eure Nahrung!
Ich aber, der Glückliche, koste nur Süßes!
Ich koste den süßen Duft der Rose,
Der Mondschein-gefütterten Nachtigallbraut;
Ich koste noch süßere Josty-Baisers,
Mit weißer Seligkeit gefüllte;
Und das Allersüßeste kost’ ich:
Süße Liebe und süßes Geliebtseyn.

     Sie liebt mich! Sie liebt mich! die holde Jungfrau!
Jetzt steht sie daheim, am Erker des Hauses,
Und schaut in die Dämm’rung hinaus, auf die Landstraß’,
Und horcht, und sehnt sich nach mir – wahrhaftig!
Vergebens späht sie umher und sie seufzet,
Und seufzend steigt sie hinab in den Garten,
Und wandelt in Duft und Mondschein,
Und spricht mit den Blumen, erzählet ihnen:
Wie ich, der Geliebte, so lieblich bin
Und so liebenswürdig – wahrhaftig!
Nachher im Bette, im Schlafe, im Traum,
Umgaukelt sie selig mein theures Bild,
Sogar des Morgens, beim Frühstück,
Auf dem glänzenden Butterbrodte,
Sieht sie mein lächelndes Antlitz,
Und sie frißt es auf vor Liebe – wahrhaftig!

     Also prahlt er und prahlt er,
Und zwischendrein schrillen die Möven,
Wie kaltes, ironisches Kichern;
Die Dämm’rungsnebel steigen herauf;
Aus violettem Gewölk, unheimlich,
Schaut hervor der grasgelbe Mond;
Hochauf rauschen die Meereswogen,
Und tief aus hochauf rauschendem Meer,
Wehmüthig wie flüsternder Windzug,
Tönt der Gesang der Okeaniden,
Der schönen, mitleidigen Wasserfrau’n,
Vor allen vernehmbar die liebliche Stimme
Der silberfüßigen Peleus-Gattin,
Und sie seufzen und singen:

     O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Du kummergequälter!
Dahingemordet sind all deine Hoffnungen,
Die tändelnden Kinder des Herzens,
Und ach! dein Herz, dein Niobe-Herz
Versteinert vor Gram!
In deinem Haupte wird’s Nacht,
Und es zucken hindurch die Blitze des Wahnsinns,
Und du prahlst vor Schmerzen!
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Halsstarrig bist du wie dein Ahnherr,
Der hohe Titane, der himmlisches Feuer
Den Göttern stahl und den Menschen gab,
Und Geier-gequälet, Felsen-gefesselt,
Olympauftrotzte und trotzte und stöhnte,
Daß wir es hörten im tiefen Meer,
Und zu ihm kamen mit Trostgesang.
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Du aber bist ohnmächtiger noch,
Und es wäre vernünftig, du ehrtest die Götter,
Und trügest geduldig die Last des Elends,
Und trügest geduldig so lange, so lange,
Bis Atlas selbst die Geduld verliert,
Und die schwere Welt von den Schultern abwirft
In die ewige Nacht.

     So scholl der Gesang der Okeaniden,
Der schönen, mitleidigen Wasserfrau’n,
Bis lautere Wogen ihn überrauschten –
Hinter die Wolken zog sich der Mond,
Es gähnte die Nacht,
Und ich saß noch lange im Dunkeln und weinte.

Collection: 
1827

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