Triumph der Trennung

Es ist geschehn! Der Tag hat sich geneigt,
Und tiefe Nacht beginnt in meinem Herzen!
Die Freude schläft; die kleinste Hoffnung schweigt,
Und alles schweigt, ach! bis auf meine Schmerzen:
Die rasten nicht, die zeichnen Tag und Nacht
Das schöne Bild, das mich zur Leiche macht!

Das schöne Bild verfolgt mich für und für!
Das schöne Bild ist wie mein zweites Wesen,
Mir Seel' und Leib! Es schläft und wacht mit mir,
Geleitet mich vom Schreiben bis zum Lesen;
Und, weil's so tief sich in mein Wesen flicht,
Bin ich in ihm, und in mir selber nicht.

Das schöne Bild! Ach, Meilen weit von hier
Ist die Gestalt, nach der ich's mir entwerfe!
Es kostet viel, und oft verweis' ich's mir,
Daß ich mir selbst das Schwert der Wehmuth schärfe:
Allein ich muß! Du, mein geliebtes Schwert,
Du bist mir mehr, als hundert Welten, werth!

O süße Ding', o ich vergess' es nie.
Wie sie mir einst zur Rosenzeit vertraute,
Da schon herab mit holder Sympathie
Der Abendstern auf unsre Pappeln schaute;
Da, leisen Tritts, der Traumgott seinen Mohn
Vertheilen ging für Hütten und für Thron!

Die Zauberin! (Vergleich ist hier zu schwer!)
Mit Innigkeit der Babets und der Psychen,
Sprach sie, und schlug die Aermchen um mich her:
"Geliebter, sieh! siehst du den Epheu kriechen
Um seine Pappel? Lieblicher Verein!
Sei jener du, und ich will diese sein!"

O damals war die Liebe sichtbar hier!
Denn über mir ward Gottes Himmel blauer,
Und grünender das Thälchen unter mir!
Die Nachtigall, versenkt in starre Trauer
Um ihren Gatten, der im Netze blieb,
Ermannte sich, und girrte neuen Trieb!

Ihr Spiel vergaß der Weste muntre Schaar,
Und ruhte fromm auf meiner Molly Kranze!
Verliebte Wölkchen zogen Paar bei Paar,
Und plätscherten in rosenfarb'nem Glanze!
Es war - es war, so träumte sich's mein Wahn,
Als hätte Gott die Himmel aufgethan!

Ach, aber jetzt! wer thut die Himmel auf?
Wer sagt mir jetzt so süße Dinge?
O steiler Blick zum Adlerhorst hinauf,
Für mich, den Schwan, der ich mein Grablied singe!
"Zehn Meilen, sagt Verstand, es ist nicht weit!"
Allein das Herz nennt's Unermeßlichkeit!

Was macht sie jetzt, die himmlische Gestalt,
Zu himmlisch, ach! von mir geliebt zu werden?
Habt ihr Gewalt, die mindeste Gewalt,
Ihr Genien im Himmel und auf Erden,
Werft diese Kluft von Meilen mir zurück,
Und zeigt sie mir nur Einen Augenblick!

Nur Einmal noch, seid ihr nicht ganz ergrimmt,
Zeigt mir dies Aug' in seiner lichten Bläue,
Wie's liebevoll, in frommer Sehnsucht schwimmt!
Nur Einen Blick, der mich zum Tode weihe,
Der Strahlen werf' auf mein erflehtes Grab;
Dann leg' ich gern die langen Fesseln ab.

Umsonst, umsonst! Was fern ist, bleibet fern,
Was Meile heißt, wird nimmermehr zum Schritte,
Nacht bleibet Nacht, und du, o Morgenstern
Des Wiedersehns, bist noch in ihrer Mitte!
Ach, eher nicht wird mir mein Wunsch gestillt,
Bis sich der Mond zum zwölften Male füllt.

Du böse Zeit, du kriechst der Schnecke gleich!
Wie Liebe, fleuch! Aus ihrem Flügel Eine,
Nur Eine Feder! Sohn der Schnecke, fleuch,
Eh' ich den Rest der Blüthenzeit verweine!
Wo Lieb' und Gram des Lebens Walter sind,
Da kommt die Neig', o Himmel, wie geschwind!

Doch Lieb' und Gram, ihr mögt nur immerhin
Die Fülle meiner schönsten Zeit verschwenden;
Oft schaudert mir was Großes durch den Sinn,
Als rief's mir zu: "Noch freundlich wird es enden!"
Doch wo und wie? Das weiß die Lieb' allein!
Ihr Zweifel, still! ihr sollt sie nicht entweihn!
(Band 2, S. 247-250)
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Collection: 
1826

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