Als sie zur Harfe sang

O Abend voll Entzücken!
O Thal voll Himmelsglanz!
Ich hing an ihren Blicken,
An ihrer Stimme ganz!

Ganz, ganz hing ich an ihnen,
In Liebe hingedrängt,
Gleichwie ein Schwarm von Bienen
Sich an die Blüthen hängt!

Hier, wo der Schatten größer
Hinauf zum Berge steigt,
Wo quellendes Gewässer
Den Blümchen Kühlung reicht;

Hier saß das Bild der Engel!
Es neigten sich vor ihr
Die zarten Blumenstengel,
Als säße Flora hier.

Erwartung naher Wonne
Beseligte das Thal;
Es zögerte die Sonne
Mit ihrem letzten Strahl.

Sie aber, Ruhm verachtend,
Sie wurde nicht gewahr,
Daß Erd' und Himmel schmachtend
Nach ihren Künsten war.

Die Königin der Schönen
Demüthig saß sie da;
Ein herrlich Meer von Tönen
Aufregend, saß sie da!

Mit tausend Lieblichkeiten,
Die nur mein Herz verstand,
Sprang auf den gold'nen Saiten
Die kleine weiße Hand.

Beflügelte Gespielen,
Von Paphos abgesandt,
Sah ich Verstecken spielen
In der geliebten Hand.

Der Zärtlichste von ihnen
(Das Herz von Liebe wund,
Beneidet' ich den Kühnen)
Flog auf den schönsten Mund,

Und goß in ihn die Seele
Des Liedes, mit dem Laut,
Den seufzend Philomele
Den Nächten anvertraut.

Sie sang! So süß, so leise
War kein Sirenenton;
Sonst wär' Ulyß, der Weise,
Dem Tode nicht entflohn!

Auf ewig unvergessen
Bleibt jeder Laut von ihr!
Du Thal, wo sie gesessen,
Ein Tempel bist du mir!

Oft heb' ich an zu lauschen,
Als säh' und hört' ich sie:
Dann ist das kleinste Rauschen
Mir Harfenmelodie.

Den Leidenschaften offen
Steht mein verwirrtes Herz:
Mit Zweifel wechselt Hoffen,
Mit Wonne wechselt Schmerz!
(Band 2, S. 215-217)
_____

Collection: 
1826

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