Liebeserklärung eines kalekutischen Hahns an seine Henne

Der Lenz ist endlich wieder neu
Für alles Fasel kommen,
Und alles fühlt, die Liebe sey
In seiner Brust entglommen. -
O, Hennchen, fühlt auch deine Brust
Nicht wunderbare Liebeslust
Bey meinem Kullern?

Sieh nur, wie Liebe mir den Kopf
Allmählich aufgetrieben,
Wie glüht mein purpurrother Kropf
Und mahnet dich zum Lieben!
Was irgend ein Roman gelehrt,
Das, Liebchen, sey von dir gehört
In meinem Kullern. -

Aus Liebe sträubt die Feder sich
Und komm' ich kühn geschritten;
O, Hennchen! alles nur für dich,
Mir Liebe zu erbitten. -
Gewähre mir der Liebe Lohn!
Ach! mein Gefühl, es spricht ja schon
Aus meinem Kullern. -

Sieh'! wie ein Mensch so bräs' ich mich,
Und will, gleich ihm, stolzieren,
Das alles, Liebchen, nur für dich,
Dein Hennenherz zu rühren. -
Sing' ich gleich einer Lerche nicht,
Mir glüht die Liebe im Gesicht
Und meinem Kullern. -

Ein Mensch, noch gestern sah' ich ihn
Am Arm sein Liebchen führen,
Ich sah' auch ihm die Wange glühn,
Auch ihn so stolz spazieren; -
Und was er sprach, das alles glich,
So wahr ich lebe, sicherlich
Ganz meinem Kullern. -

Es war ein junger Herr - so hiess
Man ihn - doch sollt' ich meinen,
Dass ihm das Bräsen nicht so liess,
Als wahrlich unser Einen; -
Und alles, was er zärtlich sprach,
Das überschrie ich tausendfach
Mit meinem Kullern. -

Sieh', Liebchen! bis die Frühlingszeit
Das Fasel treibt zur Liebe,
Geniesse du mit Zärtlichkeit
Die dir geweihten Triebe. -
Und schlachtet heute mich der Koch,
So grüsse ich den Mörder noch
Mit meinem Kullern. -

Aus: Gedichte von Ulrich Freyherrn von Schlippenbach
Mitau 1812 Gedruckt bey J. F. Steffenhagen und Sohn

Collection: 
1812

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